Ein Brief eines rheinhessischen Auswanderers aus dem Jahre 1827

Mitgeteilt von Lehramtsreferendar G. Paul in Darmstadt

In dem Nachlaß meiner kürzlich verstorbenen Großmutter, Frau Barbara Paul geb. Zimmermann in Esselborn bei Alzey, fand sich ein umfangreicher Brief aus Brasilien vor. Dieses Schreiben ist von einem nach Amerika ausgewanderten Bruder meiner Urgroßmutter, der Frau Lehrer Barbara Zimmermann in Esselborn, geb. Knopf aus Wahlheim bei Alzey, nämlich von Valentin Knopf, am 1. Dezember 1827 an seine Eltern und Geschwister in Wahlheim und an seine Schwester in Esselborn gerichtet und, wie eine Bemerkung der Empfänger auf der letzten Seite zeigt, am 23. Februar 1829 an seinem Bestimmungsort angekommen. Der Verfasser berichtet darin über seine Fahrt nach Brasilien und sein dortiges Leben in seine frühere Heimat. Da dieser Brief als ein nicht uninteressanter Beitrag zur Aufhellung der Geschichte der Auswanderung aus Rheinhessen nach Amerika im 19. Jahrhundert und der Gründung deutscher Kolonien in Brasilien erscheint und auch einige Angaben über hessische Familien enthält, sei sein Wortlaut hier wiedergegeben:

Brasilien, Deutsche Kolonie Trees Jusquilhas, ohnweit Jorres, in der Provinz S. Pedro d'Alcantara.

Liebwerteste Eltern, Geschwister, Verwandte und Freunde!

Da es schon eine geraume Zeit ist, daß wir nichts von einander gehört haben, so hoffen wir auf Vertrauen Gottes, daß euch dieser Brief in guter Gesundheit antreffen möge, denn schon längst war es unser Wunsch, Euch von unserm Schicksal zu benachrichtigen, allein wir haben erst seit kurzer Zeit einen gewissen Aufenthalt, Land- und Wohnplatz erhalten. Da es euch nicht unangenehm sein wird, etwas von unserer weiten Reise zu hören, so lassen wir Euch wissen, daß wir am 13. September 1825 in Steinfeld angekommen sind, worauf wir nach Hamburg mußten und daselbst mit Herrn Major von Schaeffer, Geschäftsträger Seiner Majestät des Kaisers von Brasilien, für die Überfahrt nach Rio de Janerio akordieren mußten, wofür wir die Summe von 106 Gulden (Rheinisch) bezahlen mußten. Nun kamen wir den 20. auf das Schiff, der Kranich genannt, und auf diesem war alles sehr gut mit Lebensmitteln versehen, daß wir noch eine 2. Reise nach Europa zurückgemacht haben würden. Wir fuhren den 1. Oktober von der Elbe weg und kamen mit einem günstigen Wind bis nach dem englischen Kanal in einen Seehafen auf der Insel Wight, namens Ost- und West-Cowes. Hier waren wir genötigt, 26 volle Tage vor Anker zu liegen, weil der Wind zur Reise so ungünstig war. Auch muß ich mit dem größten Leidwesen berichten, daß unser Sohn Johannes Jost am 4. Oktober leider an den Geschwüren gestorben ist, weil dieselben gänzlich austrockneten; er wurde nach den gewöhnlichen Schiffssitten ins Wasser geworfen. Ebenfalls ist unsere liebe Tochter Barbara selig mit Tod abgegangen am 9. November; sie war zwar immer gesund und frisch, alleine sie starb an den Schmerzen der Augenzähne.

In dem Hafen von Cowes starben mehrere Menschen, welche am Lande begraben wurden: so versprach der Schiffskapitain unser Kind ebenfalls am Land begraben zu lassen, allein Wind und Wetter, welches ungünstig war, erlaubten es nicht, mit dem toten Körper ans Land zu fahren; wir ließen eine Lade machen, uns so wurde sie den 4. Tag nach Ihrem Tode in die See beigesetzt. Da dachte ich und meine Frau, daß bei unserm Herr Gott bei der Auferstehung das Wasser so gut als die Erde sei. Von 300 Menschen starben auf der Reise 5 Kinder, wo einige schon sehr erkrankt waren, ehe solche ans Schiff kamen, nebst 2 Weibern und einem Mann namens Einsfeld aus Partenheim. An der Seekrankheit starb niemand, denn diese dauert bloß 8 bis 10 Tage und ist weiter nichts als Kopfweh und Erbrechen.

Ich, ohne meine Frau ausgenommen, bin bis jetzt stets gesund und wohl gewesen, selbst mein Valentin litt nur 6 Tage an derselben und ist stets frisch und gesund. Er bittet hauptsächlich, seine liebe Mutter 1000 mal zu grüßen und versichert, daß es ihm sehr gut geht. Endlich landeten wir nach einer glücklich 6 wöchentlichen Fahrt in Rio de Janerio, der Hauptstadt von Brasilien an, nachdem wir die amerikanischen Inseln und einige andere unbedeutende kleinere Inseln passierten. Selbst unter der Sonnenlinie war alles frisch und munter. Es war am 18. Januar 1826, da wir in Rio de Janerio landeten. Am 19. kam seine Exzellenz Senghor Jose de Almeida de Miranda, der erster Minister seiner Majestät des Kaisers ist, an unser Schiff und empfing uns im Namen Seiner Majestät mit dem Versprechen, väterlich für uns zu sorgen. Den 20. kamen wir auf einen kleinen Platz ohnweit der Kaiserstadt, um dort einige Wochen von der langen Seereise auszuruhen. Dann kam ein kleines Schiff, um uns auf die deutsche Kolonie S. Leopoldo, oder die Jactorn genannt, zu bringen, welches 9 Grade oder 270 Seemeilen beträgt.

In diesem Jahre kamen über 1200 Menschen nach dieser Kolonie, und da wir beinahe die letzten waren, so wurde uns das Land im Urwalde, welches eine bergige und unangenehme Gegend zur Pflanzung ist, angewiesen. Wir weigerten uns aber, dasselbe anzunehmen, und Seine Majestät der Kaiser, der jedem Deutschen erlaubt hat, das beste Land auszusuchen, verfügte durch Vermittlung des Präsidenten, daß wir nach einer anderen Kolonie gebracht werden sollten. Jeden Monat erhielten wir unsere Subsidien ganz richtig, für jeden Kopf 30 Frank. Und da wir nach der neuen Kolonie, nach Jorres, kamen, wurden solche wieder erneuert, daß heißt, wir erhielten von neuem für ein Jahr pro Monat 30 Franken und für das andere Jahr pro Monat 15 Franken; dieses macht also 1 ½ Jahr Subsidien aus. Da uns aber auch dieses Land zur Pflanzung nicht tauglich war, so machten wir eine Bittschrift an den Präsidenten, der uns denn nach einer genauen Untersuchung von sachverständigen Landleuten eine neue Kolonie anweisen ließ, auf der wir seit dem 1. August 1827 angelangt sind. Wir haben unser Wohnhaus gebaut und bis heute, den 1. Dezember, schon soviel angepflanzt, daß wir mit der Hülfe Gottes unsere 2. jährliche Ernte, Brot und Unterhalt in Fülle haben werden. Zu diesem haben wir erhalten: einen eisernen Kessel zum Kochen, eine Axt, ein Heb, eine Harke für jede Person, die arbeitsfähig ist. Sodann erwarten wir täglich unser Vieh, bestehend aus einem Hengst, 2 Stuten, 2 Ochsen und 1 Kuh.

Jetzt, liebwerteste Freunde, haben wir Euch unsere Reise und unsere Bequemlichkeiten und Wohltaten in diesem Lande erzählt, nun wollen wir Euch ebenfalls die Unbequemlichkeiten darstellen. Bedenkt erstens die weite Reise, durch so verschiedene Klimas der heißen Zone; ist die Reise überwunden, so kommt ihr in ein Land, wo ihr weder Freunde, Verwandte noch Eltern habt. Die Bande der zärtlichsten Freundschaft sind zerrissen, ihr seid weder der Sprache noch der Sitten kundig, Freunde, Vaterland, Vergnügen, Unterhaltung und alles müßt ihr entbehren, auch müßt Ihr Euch in Ausübung der Religion für einige Zeit enthalten; jetzt haben wir unsern protestantischen Pfarrer, auch einen Doktor, die für das Seelen- und körperliche Wohl sorgen; indem Brasilien zwar ein sehr gesundes Land ist, so reißen doch heftige Krankheiten ein, so wie es in der Kolonie S. Leopoldo der Fall war. Man erhält hier ein Stück Land, welches in Deutschland eine Grafschaft wäre, aber, liebe Freunde, solches Land, wo Stamm an Stamm steht – riesenförmige und ungeheure Massen von Bäumen, hart wie Eisen – Berge und Täler, auch kleine Inseln, da muß der Colonist die ersten Jahre fleißig arbeiten, hauptsächlich wenn das Kopfgeld am Ende ist. Hingegen kann der Kolonist, der gerne arbeitet, 2 mal reichlich ernden, ohne daß es ihm zu sauer ist. Aller Anfang fällt schwer, aber hier lange nicht so als in Deutschland. Hier braucht man nicht zu Vater und Mutter um Aushilfe zu gehen, auch niemand ein gut Wort geben, denn jeder hat sein reichliches Ausgehen, auch niemand ein gut Wort geben, denn jeder hat sein reichliches Auskommen von den Subsidien. Sollte der Vater des Valentin Lust haben, hierher zu kommen, so kann es geschehen, weil Valentin so viel Land selbst erhalten hat als ich auch, und man sich reichlich darauf ernähren kann; denn beide unsere Länder betragen über 700 Morgen an einem Stück, lauter guter und fruchtbarer Boden. Hier pflanzt man Zuckerrohr, Kaffee, Bananen, eine sehr gute Frucht, Melonen, Pomeranzen, alle anderen Südfrüchte, Kartoffeln, Gartengewächse, kurz ein Wunderland.

Endlich, liebe Eltern und Freunde, muß ich Euch wissen lassen, daß unser Schwager Sperb und seine Kinder alle frisch und gesund sind, auch daß er zu S. Leopoldo geblieben ist und sich eine Kolonie gegen Geld mit einem andern getauscht hat, für die Summa von 140 Brabantischen Talern. Er versprach mir in Deutschland, mich frei nach Hamburg zu führen, welches nicht geschah. Sodann verklagte er mich bei unserm Inspektor und begehrte unrechtmäßiger Weise 40 Gulden Fuhrlohn. Da ich aber diese Summe viel zu hoch fand, so schenkte ich ihm 9 Gulden aus meiner Tasche, weil ich von dem Inspektor nicht dazu gezwunden wurde, auch bei mir das Geld eben nicht rar ist. Liebwerteste Eltern, ebenfalls lassen wir Euch wissen, daß uns unser Herr Gott einen niedlichen Sohn am 4. Mai 1827 geschenkt hat. Er erhielt in der heiligen Taufe den Namen Carl, seine Pathe ist Carl Becker. Er ist sehr stark und wohlgebildet und Gott sei Dank frisch und gesund. Carl Becker und Heinrich  Becker befinden sich ebenfalls hier, und jeder hat sein Land wie ein Familienvater erhalten. Auch ist der Heinrich bereits verheuratet und hat ein ordentliches, sittsames Mädchen erheuratet, namlich dem Jakob Kluppel seine Tochter von Erbes-Büdesheim. So ist ebenfalls Christian Maurer auch bei mir, hat sich auch verheuratet an die Tochter des Nikolaus Helbig, der einen Bruder in Wahlheim hat. Liebe Eltern und Freunde, noch muß ich Euch zu wissen tun, daß Christian Klaren in Rio de Janerio von mir weg ist, sich dorten herumgetrieben hat, aber doch hernach mit auf die Kolonie gegangen ist und sich allda verheuratet hat.

Schließlich lassen wir Euch wissen, daß unsere Allerverehrteste Kaiserin plötzlich mit dem Tod abgegangen ist, während unser Allergnädigster Kaiser auf der Reise ins Feld gegen den Feind war. Nun sagt man aber vor gewiß, daß sich Seine Majestät wiederum mit einer bayrischen Prinzessin verehelichen werde, welches immer für uns deutsche Kolonisten ein Glück wäre. Auch hat bei einer früheren Durchreise der Kaiser einen jeden Familienvater mit 4 Mille Rees (oder 1 Carlin) huldvollst beschenkt, denn er ist sehr herablassend und gütig gegen die Deutschen.

Nach Empfang dieses Briefes hoffen wir, daß Ihr, liebe Eltern, uns doch gleich schreibet, wie es im Vaterlande gegangen ist, ob Ihr gesund und alle beim Leben seid, denn wir sind sehr begierig, von unsern guten Eltern, Freunden, Verwandten, Bekannten und überhaupt mehrere Neuigkeiten zu hören, da uns alles lieb und teuer ist, was wir vom Vaterlande hören, hauptsächlich von unserer Gegend.

Liebe Eltern, ich bitte Euch, wenn Ihr schreiben wollt, so müsset Ihr nach Mainz oder Frankfurt reisen, um Euch bei mehreren Kaufleuten zu erkundigen, welche Correspondenzen nach Hamburg, Bremen, Altona oder Amsterdam haben. Findet ihr einen solchen, so bittet ihn gegen Bezahlung des Postgelds, Euren Brief an seine Excellenz den Herrn Jose Almeida de Miranda nach Rio de Janerio zu schicken, welcher diesen Brief sogleich an mich hierher besorgt. Denn dieser ist gar ein braver Herr gegen die Deutschen, sehr wohl angesehen beim Kaiser, der ihn zum Direktor der Deutschen ernannte. Gerade so wie die Adresse geschrieben ist, muß solche geschrieben werden, sonst kommt der Brief nicht an den Herrn Miranda.

Lieber Schwager Korrel und Schwägerin! Meine Frau fühlt immer ein so großes Verlangen, auch Euch hier in Brasilien bei uns zu haben. Es wäre zu wünschen, daß Ihr hierher kämt, um hier in Ruhe und Frieden zu leben. Kurz und gut, man lebt hier ohne Sorgen, weil wir hier keine Abgaben noch Tribut bezahlen dürfen; man sprach in Deutschland von 10 Jahren Freiheit, allein hier wohnen Portugiesen, Franzosen, Engländer und mehrere Deutsche in Menge, die noch nie etwas bezahlt haben. Peter Rheinheimer von Altenklein, mein Nachbar, Philipp Hoffman von Zozenheim, seine Frau gebürtig von Eppelsheim, mein Nachbar, sind noch alle frisch und gesund. Wir hätten noch zu schreiben, weil aber der Raum zu klein ist, so beschließen wir und wünschen, daß Ihr uns bald schreibt, und Euch alle der allmächtige Gott gesund und wohl erhalten möge. Grüßet mir alle Freunde und alle, die nach mir fragen, hauptsächlich den Herrn Bürgermeister Wick, seine Frau und Kinder, und den Peter Maurer samt Frau und Kindern.                                                                          Knopf Valentin

Die Adresse an mich ist folgende: Dal Senghor, Valentino Knopf, Murator bella Colonia das Irres Jusquilhas as Jorres, Provincial di S. Pedro d'Alcantara.

Dieser Brief an mich muß petschiert warden, in ein anderes Couvert eingeschlagen und mit folgender Adresse nach Rio de Janerio geschickt warden, muß aber von einem Kaufmann oder Schulmeister rein überschrieben werden: Alla Sua Excellenza Senghor Jose Almeida de Miranda, Directore das Colonos Allemaas. Rio de Janerio.

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Redaktionelle Bearbeitung: Evelyn Heid

 
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