Otto Bernard May - Pharmakologe und Pionier der amerikanischen Farbstoffindustrie

Otto B. May[Bild: © Williams Haynes, American Chemical Industry]

Otto Bernard May wurde am 12. April 1880 in Worms geboren. Sein Vater war der praktische Arzt Dr. Ernst May, der einer alteingesessenen jüdischen Wormser Familie entstammte.[Anm. 1] Dem Lebenslauf zufolge, den Otto Bernard May seiner Dissertation beigegeben hatte, besuchte er seit seinem sechsten Lebensjahr in Worms das Gymnasium und erhielt im Frühjahr 1895 die Berechtigung zum „Einjährigen Freiwilligen Dienst“. Er absolvierte zunächst eine Apothekerausbildung, die er 1898 in Darmstadt mit dem Gehilfenexamen abschloss. Seine praktischen Kenntnisse vervollkommnete er anschließend u.a. in der Schweiz und in Frankreich. Im Oktober 1901 immatrikulierte er sich an der Kaiser-Wilhelms-Universität in Straßburg im Fach Pharmakologie und bestand hier im Herbst 1903 das pharmazeutische Staatsexamen. Anschließend widmete er sich der Abfassung seiner Dissertation, die er am Ende des Sommersemesters 1905 unter dem Titel „Chemisch-pharmakognostische Untersuchung der Früchte von Sapindus Raraks DC“ vorlegte.[Anm. 2]  

Die Zeit in Amerika: Beruf und Familie

Otto Bernard May wanderte am 28. Juni 1907 über London in die USA aus.[Anm. 3] Über die Gründe seiner Auswanderung ist nichts bekannt. Ob er „als Jude in Deutschland keine Aussicht sah, als Chemiker weiterzukommen“[Anm. 4], mag dahingestellt sein, denn zum einen arbeitete Otto Bernard May zu dieser Zeit noch auf chemisch-pharmazeutischem Gebiet und zum anderen waren Chemiker zu dieser Zeit gefragte Fachleute. May behielt zunächst seine deutsche Staatsangehörigkeit bei, erst 1920 beantragte er in den USA die Naturalisation (Einbürgerung), die ein Jahr später im Februar 1921 erfolgte.

May ließ sich in New York im Bezirk Manhattan nieder und hielt als Dozent Vorlesungen in Chemie an der Columbia University in New York. Daneben unterstützte er den ebenfalls aus Deutschland stammenden Professor Virgil Coblentz bei dessen Arbeiten zur Herausgabe eines amtlichen Arzneibuches („United States Pharmacopeia“). 1909 veröffentlichte er mit ihm zusammen im „Alumni Journal“ einen Aufsatz über „Antimony and potassium Tartrate“,[Anm. 5] (Antimon und Kaliumtartrat [ein Salz der Weinsäure]), Substanzen, die in der Leder- und Textilindustrie als Beize oder Glättmittel benutzt wurden, früher in der Medizin als schleimlösendes Mittel oder als Brechmittel eingesetzt und heute als Insektizide und Pestizide Verwendung finden. [Anm. 6]

Otto May selbst forschte insbesondere auf dem Gebiet der antiseptischen Wirkung von Bismutsalzen. Er entwickelte ein Verfahren, aus der Kombination von Bismut und jodierter Resorcin-Sulfonsäure einen antiseptischen Wirkstoff synthetisch herzustellen. Am 23.9.1910 meldete er diese Erfindung beim Patentamt in New York an.[Anm. 7]

Überraschenderweise nutzte May sein Patent im Folgenden jedoch nicht selbst, sondern verkaufte es 1911 an die Firma seines Schwiegervaters Morgenstern & Company, ein New Yorker Pharmazieunternehmen. Otto May hatte 1911 Eugenie Morgenstern (geb. 24.8. 1880 in Wien) geheiratet und war mit ihr in den Nachbarstaat New Jersey nach Newark übergesiedelt.[Anm. 8] Eugenie war die drittälteste Tochter von Morris (Moritz) und Selma Morgenstern. Das Paar hatte zwei Kinder, den Sohn Ernest M. (1913-2002) und die Tochter Helen (1915-2010).

In den folgenden Jahren besuchte Otto May zusammen mit seiner Familie oder auch seine Frau Eugenie mit den Kindern allein regelmäßig ihre alte Heimat. Erstmals reiste Otto May mit seiner Frau und dem kleinen Sohn 1914 nach Europa. Dem schlossen sich in der Zeit nach dem 1. Weltkrieg bis weit in die 1930er Jahre weitere Reisen an.[Anm. 9] 1985 besuchte Otto Mays Tochter Helen mit einem ihrer Söhne noch einmal Worms, die Geburtsstadt ihres Vaters.[Anm. 10]

Pionier der amerikanischen Farbstoffindustrie

Nach seiner Heirat trat Otto Bernard May als Geschäftsführer in das Unternehmen Johann Hoff Malt Extract Co. in Newark, New Jersey, ein. Das damals über die Grenzen international bekannte Produkt Johann Hoff´s Malz Extrakt war ein alkoholhaltiges Stärkungsmittel, ein so genanntes „Gesundheitsbier.“[Anm. 11] Als das Unternehmen mit dem Beginn der Prohibition - dem landesweiten Verbot des Verkaufs, der Herstellung und des Transports von Alkohol - 1919 geschlossen werden musste, begründete Otto May seine eigene Firma, die May Chemical Works.

Otto Mays Intention war es, Chemikalien und Färbemittel herzustellen, die nach der unterbrochenen Lieferung aus Deutschland nach dem 1. Weltkrieg in den USA dringend gebraucht wurden, denn eine amerikanische Farbindustrie existierte bis dahin noch nicht. Otto May gelang es schließlich, ein Verfahren zu entwickeln, mit Hilfe des Pigments Red Lake C[Anm. 12] roten Farbstoff synthetisch herzustellen. Dieser rote Farbstoff wurde in der Folge hauptsächlich in der Druckindustrie eingesetzt.

Otto Mays Betrieb galt bald als einer der größten Hersteller der roten Farbe in den USA und Otto May selbst als einer der Pioniere der amerikanischen Farbstoffindustrie.

 

Die Bedeutung der Person Otto Mays geht des Weiteren aus einem Passantrag hervor, den May 1921 für eine Auslands-Geschäftsreise nach Deutschland und Frankreich gestellt hatte.[Anm. 13]

Im Jahr 1929 verkaufte May seinen Betrieb an die Firma Calco Chemical Company, die im gleichen Jahr eine Tochtergesellschaft der American Cyanamid Company[Anm. 14] wurde.

Otto May trat dem Tochterunternehmen Calco bei und arbeitete hier 1 ½ Jahre als leitender Angestellter. Er kündigte schließlich und kaufte die Firma zurück, die er 1931 unter dem Namen Otto B. May, Inc. in Newark neu begründete. Sein Spezialgebiet war nun die Küpenfärberei (Küperei), d.h. die Herstellung wasserunlöslicher Farben zum Färben von Textilien.

Im Jahr 1938 trat sein Sohn Ernest M. May als Geschäftsführer in die Firma ein.

Dr. Otto Bernrd May starb am 26. Oktober 1952 im Alter von 72 Jahren.[Anm. 15] Er hinterließ seine Ehefrau Eugenie, seinen Bruder Cornelius, seine zwei Kinder Ernest M. May und Helen Strauss sowie acht Enkel.

Im Juni 1958 wurde die Firma Otto B. May, Inc. von der Textilfirma Cone Mills Corporation aus Greensboro übernommen. Cone Mills produzierten Cord-, Flanell- und Baumwollstoffe und waren[Anm. 16] eine der größten Baumwollfabriken der USA, bekannt durch die Herstellung des Denim-Stoffes für die Jeans. Mit dem Erwerb einer Farbstofffirma konnte die Firmenpalette somit optimal erweitert werden.

Die Otto May, Inc. wagte 1962 noch einmal eine Expansion der Firma. Es wurde ein benachbartes, knapp 20.000 qm großes Grundstück erworben und darauf ein fast ebenso großes Laborgebäude errichtet. In den 1960er Jahren, als Polyester-Baumwoll-Mischgewebe populär wurden, führte das Unternehmen 1966 ein sogenanntes „Farbbegleitsystem“ ein. Eine große Bandbreite von Farben, die sich für die Färbung von Kunststoffen eignete, konnte angeboten werden, dadurch dass in Mischgeweben Fasern unabhängig voneinander eingefärbt werden konnten.

Nachdem der Sohn Ernest M. May die Firma verlassen hatte, wurde Dewey L. Trogdon, der spätere Präsident der Cone Mills Corp., Mitte der 1970er Jahre Geschäftsführer der Otto B. May, Inc. Das Unternehmen Cone Mills veräußerte die Tochtergesellschaft Otto B. May, Inc. Anfang der 1980er Jahre an die Chemiefirma Crompton & Knowles, die ihren Hauptsitz in Worcester, Massachusetts hatte. Unter der Dachgesellschaft von Crompton & Knowles wurden zunächst kationische Polymere produziert, basierend auf einem Verfahren, für das das Unternehmen die Rechte bei dem späteren Chemieriesen DuPont gekauft hatte. Hergestellt wurden jetzt neben Textilfarben auch Tinten- und Papierfarben. Nachdem die Produktion von Küpenfarbstoffen, einst das Herzstück der Firma in Newark, Ende der 1980er Jahre eingestellt wurde, musste der ehemalige Betrieb Otto B. May bald darauf endgültig geschlossen werden. Die mehr als 50-jährige Geschichte einer bedeutenden amerikanischen Farbstofffirma mit deutschen Wurzeln ging damit zu Ende.

Verfasserin: Martina Graf, Seeheim

Redaktionelle Bearbeitung: Christoph Schmieder

Anmerkungen:

  1. Weitere Informationen zur Familie in: Karl und Annelore Schlösser: Die Wormser Juden 1933-1945. Hrsg. vom Stadtarchiv Worms. Worms 2002 [CD-ROM] Zurück
  2. Diss. vorgelegt der mathematischen und naturwissenschaftlichen Fakultät der Kaiser-Wilhelms-Universität Straßburg, 1905. Ein Abstract findet sich in: Botanisches Centralblatt, Band 102, 27. Jg., S. 469 Zurück
  3. Vgl. Passantrag von Otto May vom 16.2.1921, vgl. www.ancestry.com Zurück
  4. Vgl. Schlösser, Die Wormser Juden Zurück
  5. The Alumni Journal. Published monthly in the interest of the Alumni Association of the College of Pharmacy of the City of New York. Vol XVI. January 1909 Zurück
  6. Vgl. z.B. http://chemicalland21.com/industrialchem/inorganic/ANTIMONY%20POTASSIUM%20TARTRATE.htm Zurück
  7. Vgl. United States Patent Office, O.B. May on New York … Patented September 12, 1911.  … Application filed September 23, 1910 (siehe Anm. 17) Zurück
  8. Vgl. 12 th Census, City of New York, 1900 und Passantrag von Eugenie May, April 1922 – abrufbar auf www.ancestry.com Zurück
  9. Vgl die Schiffslisten auf www.ancestry.com Zurück
  10. Vgl. Schlösser, Die Wormser Juden Zurück
  11. Vgl. z.B. die Anzeige http://news.google.com/newspapers: Lewiston Evening Journal 18. März 1899 Zurück
  12. Ein organisches Azo-Pigment, das durch die Kopplung eines Diazoniumsalzes mit β-Naphthol hergestellt wird, d.h. eine Substanz zur Gewinnung von Farben, Tinten und Kunststoffen; vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Azofarbstoffe; http://de.wikipedia.org/wiki/Naphthol Zurück
  13. Siehe die Anlage zum Passantrag von Otto Bernard May; das Schreiben der Wirtschaftskammer trägt das Datum des 16.2.1921: „Mr. May wird bemüht sein, Informationen und Daten zu beschaffen, die für unsere Fabrikanten, für Importeure wie Exporteure gleichermaßen, von großem Nutzen sein werden und wir würden es sehr schätzen, wenn Sie die Ausreisegenehmigung in seinem Pass veranlassen würden. Unsere Fabrikanten benötigen eine große Menge an Informationen, unter Beachtung der in Deutschland und Frankreich herrschenden Geschäftsbedingungen. Es würde daher also von der Handelskammer sehr begrüßt werden, wenn Sie die Ausgabe des Passes veranlassen könnten“; abrufbar auf www.ancestry.com Zurück
  14. Vgl. http://www.colorantshistory.org/NewarkColorantsIndustry.html Zurück
  15. Vgl. American Dyestuff Reporter, New York. Band 41, 1952, Heft 24, S. 789, Artikel „Otto B. May Dies At Age of 72“ Zurück
  16. Die Firma Cone Mills musste ihrerseits 2004 die Insolvenz anmelden. Sie wurde von dem Investor W.L. Ross aufgekauft und mit der ebenfalls insolventen Textilfirma Burlington Industries zur International Textile Group fusioniert. Firmensitz ist weiterhin Greensboro, North Carolina, USA; vgl. http://en.wikipedia.org/wiki/International_Textile_Group Zurück
 
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