Reise und Ankunft in Brasilien

Die Auswanderer begaben sich in tagelanger Reise nach Bremen und Bremerhaven, waren von dort aus monatelang unterwegs, bis ihr Schiff den Hafen von Rio de Janeiro erreichte. Von den beengten Verhältnissen auf den Auswandererschiffen kann man sich heute kaum noch einen Begriff machen. Viele sind krank geworden und gestorben, andere sind regelrecht verhungert, weil der Proviant ausgegangen war. Auf dem Meer haben sie ihr Grab gefunden. Die Glücklichen, die gesund ankamen, wurden von Rio aus mit kleineren Schiffen in die Staaten Santa Catarina und vor allem nach Rio Grande do Sul gebracht, einem Gebiet, das etwa der Größe der alten Bundesrepublik entsprach. In der Nähe von Porto Alegre, der Hauptstadt von Rio Grande do Sul, liegt das Städtchen São Leopoldo, benannt nach der Kaiserin Leopoldine. Dieser Ort wurde zum Ausgangsort und Zentrum der deutschen Ansiedlung, die „erste deutschsprachige Kolonie in Brasilien“, die Bestand hatte, so der Historiker Karl Ilg. Ihr Gründungsdatum, der 25. Juli 1824, wird noch heute alljährlich als „dia dos Colonia“ gefeiert. Zum 100. Jahrestag der ersten Ankunft der deutschen Auswanderer wurde dieser Turm als Denkmal errichtet.

Die Einwanderung von Deutschen, vor allem aus dem Südwesten, hielt auch in den folgenden Jahren unvermindert an. Oft waren die Ankömmlinge enttäuscht über das, was sie in Brasilien angetroffen haben. Für viele sind die Erwartungen nicht in Erfüllung gegangen. Große Enttäuschung, ja Niedergeschlagenheit spricht auch aus dem Brief, den Michael Burkhard aus Kirchberg im Hunsrück kurz nach seiner Ankunft am 3. November 1827 aus dem Kloster Armacod bei Rio de Janeiro nach Hause schrieb:

„Meine lieben Brüder und Freunde!

Ich bin glücklich, endlich nach einer Reise von 18 Wochen hierher gekommen, zwar habe ich mir mehrmals auf der See den Tod als wie das Leben gewünscht; denn obgleich mir der Himmel sehr gnädig war, und meine Familie verschont hat, so sind doch 48 Personen auf der See umgekommen. Wir liegen nun hier in diesem Kloster bis zu unserer Weiterschiffung auf Kaiserliche Rechnung und Kosten, und bekommen täglich 2 Brode, 1 Pfund frisch Fleisch, etwas Speck und etwas Reis.

Seit meinem Hierseyn ist meine liebe Frau glücklich mit einem jungen Erben entbunden worden; doch fällt mir hier beständig das Sprichwort ein: bleibe im Lande und nähre dich redlich, und hätte ich es noch einmal zu thun, so würde ich auch nicht mehr fortreisen. Die Colonie, auf welche wir kommen sollen, heißt Porto de Legro und soll, wie man sagt, nahe dem Wasser liegen; auch bitte ich euch, liebe Brüder und Freunde, falls ihr mir schreiben wollt, solches an den Preußischen Herrn Consul in Rio de Janeiro zu senden, von dem ich es schon erhalten werde.

Was man nach Deutschland so schönes aus diesem Lande geschrieben hat, sind lauter Lügen, und der Schullehrer Baum von Nannhausen hat weder Köchin noch Kammerjungfer und blos seine Tochter und seine Frau haben ihn bisher ernähren müssen, und nun geht er mit auf unsere Colonie.

Meinen lieben Brüdern Daniel und Jakob werde ich späterhin, wenn ich einmal an Ort und Stelle bin, noch mehr schreiben, doch bis jetzt weiß ich noch nicht ganz gewiß, wohin wir kommen.“

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Verfasser: Roland Paul

Redaktionelle Bearbeitung: Dominik Kasper

 
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