Deutsche Einwanderer an der Nordküste von Rio Grande do Sul
Rodrigo Trespach
Das Tal des Flusses dos Sinos in der Nähe von Porto Alegre ist als erste Siedlung für die deutsche Einwanderer im Südbrasilien gewählt worden. Dort befand sich ein altes Landgut mit einer Seilerei. Ein große Anzahl von schwarzen Sklaven produzierte Seile und Taue hauptsächlich für den Bedarf der Marine. Die Infrastruktur war für eine provisorische Einquartierung der Einwanderer geeignet. Die ersten kamen in Rio de Janeiro mit dem Schiff „Anna Louise“ am 04.06.1824 an. Von dort reisten 38 Personen auf dem Küstenschiff „São Joaquim Protector“ weiter nach Sao Leopoldo wo sie am 23.07.1824 ankamen.
Im Jahr 1824 kamen noch zwei Schiffe mit mehr als 80 Personen und in dem nächsten Jahr folgten mehr als 1.000 Einsiedler in acht Schüben. Bis 1830 sind 4.800 Deutsche Einwanderer nach São Leopoldo gebracht worden. Nachdem die Ländereien in der Nähe der Stadt besiedelt waren, sind andere Dörfer gegründet worden. So entstanden Campo Bom, Dois Irmãos und Sapiranga, alle sehr dicht beieinander.
1. Três Forquilhas (1826)
Die Idee, eine deutsche Siedlung an der Küste von Rio Grande do Sul zu gründen, kam von dem Provinzgouverneur José F. Fernandes Pinheiro (1774 – 1847) nach Visconde de São Leopoldo. Er hatte schon die Gründung von São Leopoldo organisiert. Er hoffte damit, einen Hafen zu bauen, um die Kommunikation zwischen der Provinzhauptstadt Porto Alegre und der Bundeshauptstadt Rio de Janeiro zu verbessern und auch die Produkte der Siedlungen im Innland besser zu vermarkten.
Im Juni 1826 wurden einige Familien aus São Leopoldo ausgesucht und der Leutnant Francisco de Paula Soares als Dorfaufseher der neuen Siedlung ernannt. Er verfasste zwei Listen mit insgesamt 422 Personen (77 Familien und 33 ledige Männer). Gewählt wurden die Familien, die noch kein Land zugeteilt bekommen hatten, ledige Männer, diejenigen die unzufrieden mit São Leopoldo waren und schließlich die, die soeben mit dem Schiff „Generosa“ angekommen waren.
Nach einigen Zwischenfällen, sind die Siedler am 01.11.1826 in fünf kleinen Schiffen Richtung neue Siedlung gestartet. Über den Fluss Guaíba und die Laguna dos Patos sind sie bis zur Mündung des Flusses Capivari gesegelt. Von dort an ging es weiter mit Ochsenkarren. Am 17.11.1826 kamen sie in der kleinen Stadt Torres an, wo sie vorübergehend einquartiert wurden. Im Gegensatz zu São Leopoldo, wo die Parzellen nach Ankunft verteilt wurden, erfolgte hier die Aufteilung des Landes nach Konfessionen. Die 237 evangelischen Personen bekamen Land an den Ufern des Flusses Três Forquilhas, die 84 katholischen Personen wurden Parzellen zwischen den Lagunen Morro do Turvo und Jacaré zugesprochen. Sie nannten die Siedlung São Pedro de Alcantara. Wie vereinbart bekam jede Familie 77ha Land, Tiere (Kühe, Pferde, Schweine), Saatgut (Weizen, Reiß, Bohnen, Kartoffeln), Startkapital und zehn Jahre Steuererlass. Die alte Siedlung Três Forquilhas ist heute in zwei Gemeinden geteilt: Itati und Três Forquilhas.
In der alten Siedlung Três Forquilhas lebten Einwanderer aus den verschiedenen Regionen Deutschlands, wobei die größte Mehrheit aus dem Großherzogtum Hessen-Darmstadt stammte. Nicht nur dort, sondern im ganzen Süden kamen zwischen 1824 und 1825 vorwiegend Menschen aus Hessen. Später sind die Gruppen aus Rheinland-Pfalz (Hunsrück und Alzey-Worms) immer größer geworden. Ab 1830, nach dem Sturz des Kaisers, ist die Einwanderung verboten worden. Erst ab 1850 fing sie wieder an.
2. Die evangelisch-lutherische Kirche
Im 19. Jh. war Brasilien offiziell ein katholisches Land. Der deutschen Bevölkerung evangelischen Glaubens war es nicht gestattet, ihren Glauben öffentlich zu praktizieren und die Kirchen durften kein Kreuz zeigen. Die evangelische Bevölkerung von Três Forquilhas (Lutheraner und Reformierte) versammelte sich ohne die Unterstützung der Regierung um Pastor Voges, der zu keiner Kirchenhierarchie in Deutschland gehörte. Erst im 20 Jh. verband sich die Evangelische Gemeinde von Três Forquilhas zu der Evangelisch-lutherische Kirche Brasiliens (IECLB – Igreja Evangelica de Confissao Luterana no Brasil). Im Jahr 1942, als Brasilien an der Seite der Alliierten im 2. Weltkrieg kämpfte, wurden die Gottesdienste und der Schulunterricht in deutscher Sprache verboten. Ein Teil der auf Deutsch geschriebenen Tauf-, Heirats- und Sterbeurkunden, die sich in der Kirche von Três Forquilhas befanden, wurde vernichtet. Es existieren weder Heiratsurkunden aus den Jahren 1826 bis 1850 noch Sterbeurkunden von 1826 bis 1890. Das erschwert die Geschichtsforschung der deutschen Einwanderung. Auch der Friedhof wurde geschändet, viele Grabsteine mit deutschen Inschriften wurden zerschlagen.
3. Deutsche Familien in Três Forquilhas
Zu einigen der von mir erforschten Familien habe ich keine direkte verwandschaftliche Beziehung. Nichtdestotrotz, in Anbetracht der Komplexität der genealogischen Forschung, insbesondere auch als Folge der Verschiedenheit der Sprachen, was den Zugriff auf Archive in Deutschland zusätzlich erschwert, möchte ich gern meinen Beitrag leisten und alteingesessenen Familien deutscher Herkunft an der Nordküste von Rio Grande do Sul die Möglichkeit bieten, etwas über ihre Familien zu erfahren, insbesondere die Generationen vor ihrer Auswanderung nach Brasilien. Ein weiterer Zweck ist die Erforschung der Geschichte der Einwanderung, der Besiedlung unserer Nordküste durch deutsche Einwanderer, um so etwas zu erfahren über die Gründe ihrer Auswanderung aus Deutschland, ihre Kultur sowie die gesellschaftliche und politische Organisation, die sie hierher mitbrachten. Das kann man erreichen durch Erschliessung des Lebens der Vorfahren dieser Familien in ihrer alten Heimat, über mehrere Generationen. Eine Antwort auf diese Fragen erlaubt dem Historiker und Familienforscher, sich ein möglichst getreues Bild vom Leben dieser Menschen in ihrem geschichtlichen und politischen Umfeld zu machen.
Deutsche Familien in Três Forquilhas: Barth, Bauer, Bobsien/Bobsin/Bopsin/Popsin, Beck, Becker, Brehm/Blehm, Brookschmitt, Brusch/Bruske/Prusch, Dressbach/Tresbach/Trespach, Dahlbach, Dicksen, Dhein, Eberhardt, Eigenbrodt, Engel, Erling, Etterer, Fuhr, Geb, Gerhmann/Germann, Grassmann, Gross, Hartmann, Helbig/Hellwig, Henze, Hoffmann, Jacobs, Jacoby/Jacobi, Justin, Kellermann, Klein, Klippel/Knippel, Knewitz, Knopff, Kohnlein, König, Kramer, Lippert, Maier/Meyer, Mauer/Maurer, Maschmann, Marlow, Menger, Metz, Mittmann, Müller, Petersen, Pfay, Reinheimer, Rickert, Rietgeroth/Rickrot, Seim, Schmitt, Schneider, Sparremberger/Spannemberg, Saul, Schwarzhaupt, Schütt, Steinmetz, Stollenberg, Strach, Strassburg, Stahlbaum, Sonntag, Wasmer/Bausemer, Wetter, Weckmann, Witt, Wolff, Tietboehl, Triesch, Veeck, Voges und Zinckgraf.
Verfasser: Rodrigo Trespach
Redaktionelle Bearbeitung: Yves Vincent Grossmann am 03.01.2012