Die sprachliche Entwicklung

Noch ein Wort zur Sprache:

Die Zahl der deutschstämmigen Brasilianer wird auf etwa 4 Millionen geschätzt. Von den ca. 350.000 deutschsprachigen Brasilianern in Rio Grande do Sul sprechen die meisten heute noch eine hunsrückisch-pfälzische Mundart, allerdings unter Beimengung vieler portugiesischer Wörter, wie wir das ihn ähnlicher Form von der pennsylvanisch-deutschen Mundart kennen, die bekanntlich ja viele englische Ausdrücke enthält. Die Gruppe in Santo Amaro hingegen hat die deutsche Sprache allerdings bald schon aufgegeben. Erwähnt werden sollte noch, dass es z. B. in Parana eine noch stark deutschsprechende Gemeinde gibt, Entre Rios, die erst nach dem Zweiten Weltkrieg von ausgewanderten Donaudeutschen gegründet wurde. Schon lange zuvor, seit 1877 lebten auch zahlreiche Russlanddeutsche in Brasilien, deren Vorfahren 100 Jahre vorher, zum Teil ebenfalls aus Gebieten des heutigen Rheinland-Pfalz, nach Russland ausgewandert waren und die nach Einführung der allgemeinen Wehrpflicht in Russland mit offenen Armen in Brasilien aufgenommen wurden. Heute leben noch etwa 70.000 Nachfahren der einst eingewanderten Russlanddeutschen in Brasilien.

Nun, wie sah die sprachliche Entwicklung aus: Die ersten Siedler beherrschten als einfache Leute lediglich ihre jeweilige heimatliche Mundart. Stark verbreitet waren dabei die pommerische, die sächsische, die schwäbisch-allemannische, die bayerisch-österreichische und vor allem die hunsrückisch-pfälzische Mundart. Es bildeten sich mit der Zeit allerdings auch Mischdialekte heraus, und ein starker portugiesischer Einfluss machte sich bemerkbar. Im Laufe der Zeit wurden deutsche Schulen eingerichtet, in denen den in Brasilien Geborenen schriftsprachliche Kenntnisse des Deutschen vermittelt wurden. Noch 1922 gab es in Rio Grande do Sul 698 Privatschulen, deren Unterrichtssprache Deutsch war. Portugiesisch wurde jahrzehntelang in vielen dieser Schulen nicht einmal als Fremdsprache gelehrt. Per Gesetz wurde 1938 unter Diktator Getulio Vargas das Volksschulwesen auf den ausschließlichen Gebrauch des Portugiesischen umgestellt. 1939 folgte das „Kanzelverbot“ für alle Fremdsprachen. Die deutsche Presse wurde 1940 verboten. Beim Kriegseintritt Brasiliens 1942 wurde schließlich ein absolutes Verbot der deutschen Sprache bei Androhung von Gefängnisstrafen ausgesprochen.

In der Siedlung Linha Nova, zu Deutsch Neuschneis, habe ich vor einigen Jahren eine volkskundliche Umfrage durchgeführt, bei der es auch um den Sprachgebrauch ging. Viele ältere Personen sagten mir, sie hätten die portugiesische Sprache nie richtig gelernt und können sich auch heute nur in ihrem deutschen Dialekt unterhalten wie Alcinda Schröer: „Hie uff de Kolnie hann mer nur Deitsch gesproch unn geschribb“. Benno Sturm ergänzte: „Ich hann nix gelehrt Brasilianisch sproche, nix wie Deitsch. Wie's verbott worr is im Kriech, do hatt mer dogestann. Wie mer in die Kriech inngezooh worr sinn, hann mer net mo verstann was er“ - gemeint war der Vorgesetzte beim Militär – „uns gehääß hatt, so weit ware mer redur“. Da viele Kinder dort jahrelang keine Schule besucht haben - die deutschsprachigen Lehrer durften keinen Unterricht erteilen, andere Lehrer hatten sie nicht - so gibt es dort eben noch heute viele Analphabeten.

Der lange Zeit älteste Bewohner der Neuschneis, er starb inzwischen mit fast 95 Jahren, Bertholdo Kleemann, erzählte mir, wie er sich in der Zeit, als auch deutsche Zeitungen verboten waren, zu helfen wusste: „Ich hann als immer die deitsche Welle gelauschtert“. Außerdem bezog er eine deutsche Zeitung aus Argentinien. Die während und nach dem Zweiten Weltkrieg geborenen Neuschneiser haben schließlich in der Schule Portugiesisch gelernt. Die deutsche Schriftsprache lernten sie allerdings nicht mehr. Nur einige alte Bewohner können heute noch Deutsch lesen und haben die seit den 1950er Jahren erscheinende deutsch-brasilianische Zeitung „Brasil Post“" abonniert.

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Verfasser: Roland Paul

Redaktionelle Bearbeitung: Dominik Kasper

 
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