Deutsche Einwanderer in Espírito Santo

von Rodrigo Trespach

Im Vergleich zu Rio Grande do Sul und Santa Catarina in Südbrasilien empfing der Bundesstaat Espírito Santo im Südosten des Landes nur eine kleine Zahl deutscher Einwanderer. Dennoch haben sie die Landschaft vor allem der Bergregion um Domingos Martins und Santa Maria de Jetibá nachhaltig geprägt. Hier sind deutsche Spuren in Architektur, Sprache, Kultur oder Religion – besonders im Wirken der evangelisch-lutherischen Kirche – genauso sichtbar wie in den beiden südlichsten Bundesstaaten Brasiliens.

1. Die Hunsrücker (1847)

Die ersten Deutschen, die in Espírito Santo ankamen, stammten aus dem Hunsrück, aus der damaligen preußischen Rheinprovinz (heute Rheinland- Pfalz). Aus dem Hunsrück waren bereits in den Jahren 1824 bis 1830 viele der ersten Auswanderer nach Brasilien aufgebrochen. Nach einer Unterbrechung der Einwanderungsfinanzierung durch die kaiserliche Regierung kamen in den 1840er Jahren neue Immigrantengruppen am Hafen von Rio de Janeiro an. Die meisten der Neuankömmlinge zogen weiter zu ihrem Bestimmungsziel im mittleren Süden Brasiliens. Durch Vermittlung des damaligen Präsidenten der Provinz Espírito Santo, Luiz Pedreira do Couto Ferraz, erlaubte Kaiser D. Pedro II. die Entsendung einer kleinen Einwanderergruppe nach Vitória, wo sie am 21. Dezember 1846 ankam. Nach Ankunft am Hafen der Hauptstadt fuhr die Gruppe in Kanus den Rio Jucu hinauf in die Bergregion. Dort gründeten sie am 27. Januar 1847 die Kolonie Santa Isabel an einem Ort, den die Botokuten-Indianer „Cuite“ nannten. Es war die erste deutsche Kolonie im Land der „capixabas“, wie die Einwohner Espírito Santos bis heute genannt werden. Rund 160 Personen aus 39 Familien (davon 16 evangelisch-lutherischer und 23 katholischer Besinnung) nahmen an dem „Gründungsabenteuer“ teil. Deren Nachnahmen klingen bis heute in den Telefonverzeichnissen der Region nach: Bastian, Bohn, Chall, Christ, Degen, Effgen, Faller, Feiper, Flotinger, Franz, Gerhardt, Gilles, Hand, Ludwig, Marx, Mildenberger, Morjer, Rhein, Schmidt, Schneider, Stein, Stumm, Trarbach, Trenkbluth, Waiandt, Wahler und Velten. Jede Familie erhielt von der kaiserlichen Regierung Brasiliens ungefähr 50 Hektar Land und einen Kostenzuschuss für eine bestimmte Zeit. Die Katholiken unter ihnen suchten bald den Kontakt mit den gleichgesinnten Azorianer-Portugiesen in der benachbarten Stadt Viana, wo sie einkaufen und die örtliche Kirche besuchen konnten. 1852 wurde in dem Dorf Santa Isabel die erste katholische Kirche eingeweiht. Religiöse Auseinandersetzungen führten dazu, dass die evangelisch-lutherischen Familien noch weiter in die Berge zogen und in der Ortschaft „Campinho“ das heutige Domingos Martins gründeten. Dort begannen sie in den 1850er Jahren mit dem Bau „ihrer“ Kirche. Am 20. Mai 1866 wurde das Gotteshaus ohne Turm, wie es die Brasilianische Verfassung vorschrieb, eingeweiht. Ein Jahr später bekam es doch noch einen Turm und wurde somit die „erste protestantische Kirche mit Turm in Brasilien“.

2. Die Pommern

Die erste Einwanderergruppe aus Pommern – insgesamt 117 Personen – ging am 28. Juni 1859 in Vitória, der

 

heutigen Hauptstadt Espirito Santos, an Land. Gestartet war sie vom Hamburger Hafen. So wie die Hunsrücker zwölf Jahre zuvor fuhren auch sie in Kanus den Fluss Jucu hinauf. In der Bergregion um Santa Leopoldina, dem heutigen Santa Maria de Jetibá, bekamen sie Landparzellen zugesprochen. Dort mussten sie sich in einer völlig neuen Landschaft zurechtfinden, denn im Gegensatz zu den Hunsrückdeutschen waren sie nur das Flachland der deutschen Nordküste gewohnt. Dennoch gelang es ihnen, die Herausforderungen der Anpassung zu meistern und sich in die neue Wirklichkeit zu integrieren. Weitere Gruppen mit insgesamt rund 2.200 Einwanderern pommerischer Abstammung kamen zwischen den Jahren 1868 und 1874 nach. Damit wurde Espírito Santo der brasilianische Bundesstaat mit der höchsten Konzentration pommerischer Einwanderer. In den 1970er Jahren besuchte der deutsche Journalist Klaus Granzow (1927-1986) Brasilien. Er war im polnischen Teil Pommerns geboren und wollte vor allem die Abkömmlinge der Pommern, die in Brasilien auf dem Land lebten, kennenlernen. Granzow stellte dabei fest, dass sowohl in Espírito Santo als auch in Rio Grande do Sul (besonders in São Lourenço do Sul) und Santa Catarina (Pomerode) noch Pommerisch gesprochen wurde, ein Dialekt, der in der alten Heimat, die nach 1945 zwischen Ostdeutschland und Polen aufgeteilt worden war, nicht mehr existierte. Seine Erlebnisse auf den Reisen durch die deutschen Kolonien Brasiliens hielt Granzow in dem Buch „Pommeranos unter dem Kreuz des Südens“ fest. Das Werk wurde kürzlich vom Archiv des Staates Espírito Santo und dem Verein Deutscher Kultur in Espírito Santo in Portugiesisch veröffentlicht. Der Journalist beschreibt darin die allgemeinen Bräuche, die von den Immigranten und ihren Nachkommen bewahrt wurden, obwohl diese so weit von ihrer ursprünglichen Heimat entfernt waren, darunter vor allem den pommerischen Dialekt und die pommerische Hochzeit. Sowohl die Nachkommen der „Hunsrücker“ als auch die der „Pommeraner“ investieren heute noch in Tanzgruppen, in Musik, in Sprachschulen und in verschiedene andere Initiativen, um die Kultur ihrer Vorfahren im Bundesstaat Espírito Santo zu bewahren. Sie legen viel Wert auf die Tradition, die vor mehr als 160 Jahren von den Einwanderern aus Deutschland mitgebracht wurde.

Nachweise

Verfasser: Rodrigo Trespach

Redaktionelle Bearbeitung: Christoph Schmieder am 26.07.2013

 
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