Petrópolis – Ein brasilianisches „Versailles“

Nach einer ersten Auswanderungsphase in den 1820er Jahren, ausgelöst durch die Werbungen des Majors von Schäffer, zogen Mitte der vierziger Jahre erneut zahlreiche Deutsche in Richtung Brasilien. In der Zwischenzeit hatten die eingestellte Einwanderungsförderung und die Farrapen-Revolution Zuzüge weitgehend verhindert. Für das Gebiet des heutigen Rheinland-Pfalz ist besonders die Kolonie Petrópolis von Interesse. Ein historischer Stadtplan des Jahres 1846 verdeutlicht, in welch hohem Maße Rheinland-Pfälzer in die Stadt einwanderten.

Historischer Stadtplan

Petrópolis, in der Provinz Rio de Janeiro gelegen, verdankte seine Gründung 1843 dem brasilianischen Kaiser Dom Pedro II. Dieser wünschte dort die Errichtung einer kaiserlichen Sommerresidenz.[Anm. 1] Mit dem Aufbau des brasilianischen „Versailles“[Anm. 2] wurde der gebürtige Mainzer Major Julius Friedrich Koeler beauftragt. Koeler hatte bis 1825 im preußischen Heer gedient und es bis zum Pionieroffizier gebracht. 1828 warb ihn Major von Schäffer als Offizier für die brasilianische Armee an, wo er 1842 in den Rang eines Majors aufstieg.[Anm. 3]

Die nötigen Handwerker und Straßenarbeiter sollten in Deutschland angeworben werben. Daher schloss am 17.6.1844 die Provinzregierung von Rio de Janeiro mit dem Handelshaus „Carl Delrue & Comp.“ einen Kontrakt ab. Das im französischen Dünkirchen ansässige Handelshaus verpflichtete sich 600 Familien nach Brasilien zu überschiffen. Delrue erhielt pro Auswanderer eine finanzielle Entschädigung durch die Provinz. Für jede Person über 15 Jahren wurden 245 Franken und 122,5 Franken für 5 bis 15jährige bezahlt. Den Auswanderern wurde zwar eine kostenlose Überfahrt zugesichert, allerdings mussten sie in Brasilien auf einen Teil ihres Verdienstes verzichten, um die entstandenen Transportkosten zu tilgen.[Anm. 4] Je nach Familiengröße schwankten die Abgaben zwischen 1/4 und 1/6 des Lohns.

Ein Schwerpunktgebiet der Werbungen lag auf dem Gebiet des heutigen Rheinland-Pfalz. Die Werbungen verliefen äußerst erfolgreich. Bereits im Sommer 1846 hatte Delrue weit mehr als die 600 verlangten Familien überschifft. Angesichts anhaltender Werbemaßnahmen zogen jedoch weiterhin hunderte Familien in Richtung Dünkirchen. Als im August 1846 der französische Unterpräfekt in Dünkirchen publik machte, dass kostenlose Überfahrten nicht mehr möglich seien, vegetierten im dortigen Hafen bereits über 800 Personen. Preußen lehnte jegliche Verantwortung für die verarmten und hilflosen Auswanderer ab.[Anm. 5] Notgedrungen wurden sie von Frankreich mittels dreier Kriegsschiffe nach Algerien transportiert und in den Dörfern Sdenia und Sidi Mogref angesiedelt.[Anm. 6] Belgien, das in Ostende und Antwerpen ebenfalls mit hunderten verarmten Auswanderern konfrontiert wurde, forderte die Wiederaufnahme der Familien durch Preußen. Man drohte mit einer zwangsweisen Rückführung auf preußisches Gebiet. Zudem war zwischenzeitlich die Presse auf den Vorfall aufmerksam geworden und setzte die preußische Regierung zusätzlich unter Druck.[Anm. 7] Preußen lenkte ein und ließ die Rückkehrer vorübergehend im Landarmenhaus Brauweiler unterbringen. Über 400 Personen kehrten zurück, allesamt aus der Rheinprovinz. Schwer belastet wurde der Regierungsbezirk Koblenz, dem ein Großteil der Rückkehrer entstammte. Die geplante Rückführung der Familien in ihre Heimatgemeinden, stieß dort auf erbitterten Widerstand.[Anm. 8] So berichteten Familien aus der Gemeinde Kappel (Krs. Simmern), dass ihnen der Zugang zu einer Unterkunft verwehrt wurde. Nur auf immensen Druck der Behörden hin, wurden sie aufgenommen. Bemerkenswert ist ein Vorfall in der Gemeinde Buch (Krs. Simmern). Die Gemeinde trat in einen neunjährigen Rechtsstreit mit der Bezirksregierung über die Finanzierung der Unterhaltskosten, musste sich letztlich jedoch geschlagen geben.[Anm. 9]

Der Großteil, der in Brasilien angekommenen Auswanderer, siedelte sich in Petrópolis an. Einige Hundert wurden auf eigenen Wunsch nach Sao Leopoldo gebracht, das Ziel der ersten Auswanderungswelle.[Anm. 10] In Petrópolis wurden den Kolonisten Grundstücke zugewiesen, für die sie nach acht Jahren Pachtzinsen zu entrichten hatten.[Anm. 11] Der regionalen Herkunft der Kolonisten trug man durch die Namensgebung der zwölf Koloniequartiere Rechnung. Bingen, Ingelheim, Mosel, Nassau, Unter-Rheingau, Mittel-Rheingau, Simmern, Unter-Pfalz, Ober-Pfalz, Westphalen, Castellania und Petropolis lassen sich anhand des historischen Stadtplans vom September 1846 erkennen. Des weiteren existierten die Plätze St. Goar, Wiesbaden, Kreuznach, Bingen und Ingelheim.[Anm. 12] Bis Dezember 1846 kamen weitere Quartiere hinzu, unter anderem Darmstadt und Worms.[Anm. 13] Herkunftsort und Koloniequartier der Auswanderer waren jedoch nicht zwingend identisch. So hatten sich mehrere Familien der Bürgermeisterei Kirchberg (Krs. Simmern) in den Quartieren Nassau, Niederrhein und Castellania niedergelassen. Laut einem Bericht der Allgemeinen Auswanderungszeitung vom September 1846 lebten zu diesem Zeitpunkt 2101 Siedler in Petrópolis, darunter 1921 Deutsche.[Anm. 14] Ende Dezember 1846 belief sich die Einwohnerzahl bereits auf nahezu 2300 Personen.[Anm. 15]

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Verwendete Literatur:

  • Allgemeine Auswanderungs-Zeitung. Rudolstadt 1846.
  • Beres, Eric: Auswanderungen aus dem Hunsrück 1815 - 1871. Strukturen, Ursachen und Folgen am Beispiel der ehemaligen Bürgermeisterei Kastellaun. Dommershausen 2001.
  • Beres, Eric: Auswanderung aus Buch. Die Rückkehrer des Jahres 1846. In Joachim Mertes (Hrsg.): Buch und Mörz. Aus der Geschichte zweier Nachbardörfer. Buch 2002, S. 177-180. 
  • Cunha, Jorge Luiz da: Rio Grande do Sul und die deutsche Kolonisation. Ein Beitrag zur Geschichte der deutsch-brasilianischen Auswanderung und der deutschen Siedlung in Südbrasilien zwischen 1824 und 1914. Santa Cruz do Sul 1995.
  • Keller, Hansheinz: Neue Heimat Brasilien. Ein Beitrag zur Auswanderungsgeschichte unter besonderer Berücksichtigung der Gründung von Petrópolis bei Rio de Janeiro. Bad Kreuznach 1966.
  • Oberacker, Karl H.: Der deutsche Beitrag zum Aufbau der brasilianischen Nation. Sao Paulo 1955.
  • Walker, Mack: Germany an the Emigration 1816 - 1885. Harvard 1964.

Verfasser: Björn Effgen

Anmerkungen:

  1. 1 Vgl. Keller, Hans Heinz: Neue Heimat Brasilien. S.35; AAZ, Nr.1, 1846. S.3. Zurück
  2. 2 Vgl. Cunha, Jorge Luiz da: Rio Grande do Sul. S.67. Zurück
  3. 3 Vgl. Cunha, Jorge Luiz da: Rio Grande do Sul. S.67; Oberacker, Karl H.: Der deutsche Beitrag. S.296. Zurück
  4. 4 Vgl. AAZ, Nr.1, 1846. S.3-4. Zurück
  5. 5 Vgl. Walker, Mack: Germany. S.98-99. Zurück
  6. 6 Vgl. AAZ, Nr.8, 1846. S.59. Zurück
  7. 7 Vgl. Walker, Mack: Germany. S.98-99. Zurück
  8. 8 Vgl. AAZ, Nr.7, 1846. S.51; Beres, Eric: Auswanderungen aus dem Hunsrück. S.137. Zurück
  9. 9 Vgl. Beres, Eric: Auswanderungen aus dem Hunsrück. S.136-145; Beres, Eric: Auswanderung aus Buch. S.177-180.  Zurück
  10. 10 Vgl. AAZ, Nr.1, 1846. S.4 Zurück
  11. 11 Vgl. AAZ, Nr.2, 1846. S.10. Zurück
  12. 12 AAZ, Nr.2, 1846. Anhang. Zurück
  13. 13 Vgl. Keller, Hansheinz: Neue Heimat Brasilien. S.55-56. Zurück
  14. 14 Vgl. AAZ, Nr.1, 1846. S.4. Zurück
  15. 15 Vgl. Keller, Hansheinz: Neue Heimat Brasilien. S.54. Zurück
 
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