"Aufbruch nach Amerika - Bilder einer Ausstellung" eine Nachbetrachtung

Die Neuen Welt
Kolorierter Stich eines Wagentracks mit Siedlern

Vom 24. November bis 22. Dezember 2010 fand im Foyer des Landtags Rheinland-Pfalz die Ausstellung "Aufbruch nach Amerika – Massenauswanderung aus Rheinland-Pfalz" statt. Die Ausstellung war ein Gemeinschaftsprojekt der Atlantischer Akademie Rheinland-Pfalz e. V., dem Theodor-Zink-Museum Kaiserslautern, dem Historisches Seminar der Universität Mainz (PD Dr. habil. Helmut Schmahl), dem Institut für pfälzische Geschichte und Volkskunde Kaiserslautern und dem Museum der Stadt Alzey.

1. Aufbruch nach Amerika

Zu den allgemeinen anthropologischen Bestimmungen des Menschen gehört auch die des homo migrans. Denn Wanderungen, so der Migrationsforscher Klaus J. Bade, sind ein wesentlicher Teil der „Conditio humana wie Geburt, Fortpflanzung, Krankheit und Tod“. Stets waren und sind es jedoch konkrete Gründe, die Menschen zur Migration veranlassten. Dies gilt auch für die vor 300 Jahren einsetzende Massenauswanderung aus dem heutigen Bundesland Rheinland-Pfalz.

Abschied aus Europa
Manumissionsschein von Simon Höbe aus Landstuhl

Belastungen durch Militärkontributionen während des Spanischen Erbfolgekrieges (1701-1714), Wetterextreme wie der strenge Winter 1708/09 oder religiöse Diskriminierungen einerseits, verheißungsvolle Schilderungen der Vorzüge der Neuen Welt andererseits, ließen im Frühjahr 1709 mehrere tausend Südwestdeutsche den „Aufbruch nach Amerika“ wagen. Aber erst im 19. Jahrhundert entwickelte sich die Auswanderung aus Rheinland-Pfalz zum Massenexodus mit Migrationsspitzen in den Jahren 1846-1857 und 1864-1873. Verschiedene Ursachen und Motive wirkten dabei zusammen:

  • Ein rasantes Bevölkerungswachstum, das die Bevölkerung in Rheinhessen zwischen 1816 und 1834 von 158.035 auf 205.320, in der Pfalz von 430.410 auf 665.932 Einwohner ansteigen ließ.
  • Die in der Region dominierende Realerbteilung, die zu einer z.T. extremen Aufsplitterung des landwirtschaftlichen Besitzes führte.
  • Die Einführung der Gewerbefreiheit im Gefolge der Französischen Revolution, die eine Überbesetzung vieler Gewerbe nach sich zog.
  • Wetterbedingte Missernten, die Teuerungskrisen und Hungersnöte zur Folge hatten. Vor allem im „Pauperismus“ der 1840er und 1850er Jahre kulminierte die Verschlechterung der sozialen bzw. wirtschaftlichen Lage breiter Bevölkerungsschichten.

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2. Die Realteilung

Das Prinzip der Realteilung, das sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts in der Pfalz durchsetzte, verursachte die wirtschaftliche Not der Pfälzer Bauern.

Realteilung bedeutet, dass der Besitz einer Familie, insbesondere der Landbesitz, unter den Erbberechtigten zu gleichen Teilen (real) aufgeteilt wird. Bei jedem Erbgang zersplitterte das Ackerland mehr: Es entstand eine Vielzahl kleiner Äcker, oft in Form schmaler Streifen. Diese waren sehr ineffizient zu bearbeiten. Ein relativ hoher Anteil der nutzbaren Fläche ging für Grenzstreifen und Zufahrtswege verloren.

Zudem konnte sich jeder Grundbesitzer ansässig machen und eine Familie gründen. Somit stieg durch die hohe Anzahl an gleichberechtigten Erben auch die Bevölkerungsanzahl.

Nach 1816 verschärfte die bayerische Zoll- und Steuerpolitik die Situation zusätzlich: Die landwirtschaftlichen Kleinstbetriebe waren selbst in normalen Erntejahren nicht mehr in der Lage, das Existenzminimum zu erwirtschaften. Die Auswanderung in der Pfalz wurde zum „Überdruckventil der sozialen Frage“.

In diesem Kontext ist die Formulierung Wilhelm Heinrich Riehls „die Auswanderungskiste als Ackerbaugerät“ zu verstehen: Zu Beginn der 1850er Jahre bemerkte er auf dem Kreislandwirtschaftsfest in Landau eine neben den Ackerbaugeräten aufgestellte Auswandererkiste, die die Aufschrift trug „Bleibe im Lande und nähre dich redlich!“ „Das war“, so schreibt er, „nicht bloß ein guter Witz, sondern in der Tat ein bedeutsames Wahrzeichen pfälzischer Zustände… Die Massenhaftigkeit der pfälzischen Auswanderung ist fast sprichwörtlich“.

Erst zum Ende des 19. Jahrhunderts entspannten sich wirtschaftlichen Verhältnisse in Folge eines erhöhten Arbeitsplatzangebots durch die Industrialisierung.

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3. Auswanderung und bürokratisches Procedere

Auswanderungswillige hatten im 18. und 19. Jahrhundert einen komplizierten Behördenweg zu durchlaufen, bis sie zur beschwerlichen Reise zum Abfahrtshafen und der eigentlichen Überfahrt aufbrechen konnten.
Im 17./18. Jahrhundert war für Auswanderer die Entlassung aus der Leibeigenschaft, die Manumission, zwingend erforderlich. Ein Anspruch darauf bestand jedoch nicht, zudem war die Manumission mit finanziellen Belastungen verbunden.
Im 19. Jahrhundert ging jeder legalen Auswanderung die Entlassung aus der Staatsbürgerschaft voraus. Dem Entlassungsgesuch wurde eine Vermögensaufstellung beigefügt, aus der das Entlassungsgeld errechnet wurde. Das Auswanderungsgesetz des Großherzogtums Hessen-Darmstadt von 1821 gestattete zwar seinen Bürgern die Auswanderung, das Auswanderungsvorhaben war aber der Provinzialregierung anzukündigen. Diese gab durch die Bekanntmachung des Gesuchs eventuellen Gläubigern die Möglichkeit, ihre Forderung zu stellen. Hatten sich keine Gläubiger gemeldet, lagen keine strafrechtlichen Hindernisse vor und hatten die männlichen Antragsteller ihre Militärdienstpflicht abgeleistet, stellte die Regierung eine Auswanderungserlaubnis aus. Ähnlich waren die Vorschriften in der zu Bayern gehörenden Pfalz. Hier bestand, wie in den meisten Staaten des Deutschen Reiches erst seit 1871 ein allgemeines Recht auf Auswanderung, doch ließ die bayerische Regierung schon seit den 1820er Jahren Auswanderungswillige ziehen.

Passagiere während der Überfahrt[Bild: ]
Aufbewahrungsmappen Schiffsticket aus Bremen[Bild: ]
Programm der Deutschlandfahrt des Hessen-Darmstaedter Volksfest Vereins, New York 1927[Bild: ]
Lernt Englisch - Schnellste Methoden zum Englisch-Lernen ohne Lehrer mit genauer Angabe der Aussprache[Bild: ]

Die Seereise nach Amerika war lang und beschwerlich. Mit der Einführung des Dampfschiffs verkürzte sich die Dauer der Überfahrt von 8-10 Wochen auf 14 Tage oder weniger. Dampfschiffe waren geräumiger, die hygienischen Zustände an Bord besser. Schon Ende der 1860er Jahre reisten drei von vier Passagieren mit Dampfschiffen. Mitte der 1870er Jahre hatten die Segelschiffe ausgedient.

Ein im 18. Jahrhundert viel genutztes System zur Finanzierung der Überfahrt war das Redemptioner-System. Kreditgeber übernahmen die Reisekosten. Im Gegenzug verpflichteten sich die Ausreisewilligen die Kosten in Amerika abzuarbeiten. Das bedeutete in den meisten Fällen, dass diese oft mehrere Jahre unbezahlt für ihren Kreditgeber arbeiten mussten.

Die Organisation der Überfahrt wurde von Auswandereragenten übernommen. Im 17. und 18. Jahrhundert warben viele Agenten Auswanderer für bestimmte Siedlungen an. Im 19. Jahrhundert organisierten sie die Anreise zu den Hafenstädten, besorgten die Papiere und vermittelten die Schiffspassage. Obwohl manche Agenten als wenig seriös galten, waren ihre Dienste unverzichtbar für die Auswanderer. Die Vorlage eines Passage-Kontraktes, der im Auftrag der Reedereien durch die Agenten vermittelt wurde, war vielfach Voraussetzung zum Erhalt eines Reisepasses.

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4. Ankunft in Amerika

Nach einer Überfahrt von bis zu zehn Wochen, die sich mit der Einführung des Dampfschiffs auf 14 Tage verkürzte, kamen die meisten Auswanderer des 19. Jahrhunderts im Hafen von New York an. Weitere wichtige Ankunftshäfen waren Philadelphia und Boston.
Als zentrale Sammelstelle für Einwanderer in New York hatte man 1855 die ehemalige Festung Castle Garden eingerichtet. Diese diente bis 1890 zur staatlichen Organisation der Einwanderung und zur Registrierung der Einwanderer. 1890 wurde Castle Garden von Ellis Island abgelöst, das bis 1954 in Betrieb blieb.
Castle Garden und Ellis Island stehen für zwei Phasen in der amerikanischen Einwanderung, die sich sowohl durch die Herkunft der Immigranten, als auch durch die Verantwortung, die man ihnen gegenüber empfand, unterschieden. Die erste Phase, die so genannte „Old Immigration“ bestand hauptsächlich aus Nord- und Westeuropäern, während die meisten Einwanderer der zweiten Phase, der „New Immigration“, aus Ost- und Südeuropa kamen.
Von 1855 bis 1890 wurden in Castle Garden 8,2 Millionen Einwanderer aufgenommen, darunter ca. 3 Millionen Deutsche. Noch an Bord der Schiffe fand eine Quarantäne-Inspektion statt, bei der Informationen über die Zahl der Passagiere und die hygienischen Verhältnisse an Bord gesammelt wurden. In Castle Garden erfolgten dann die Registrierung der Einwanderer und die Entscheidung über ihre Aufenthaltserlaubnis. Gegebenenfalls folgten Arbeitsvermittlung und der weitere Transport.

Grußkarten
Grußkarte der Brauerei Pabst aus Milwaukee
Grußkarte der Frost-Keller Brauerei aus Milwaukee, Wisconsin
Einladungskarte der American Newspaper aus Milwaukee, Wisconsin
Einladung zur Sonntagsschule
Grusskarte mit einem Zitat von Goethe
Grußkarte vom Turn- und Sängerfest des Parific Kresies, Los Angeles 1911

In Ellis Island wurde ab 1890 die bewährte Vorgehensweise fortgeführt, zusätzlich überwachten Inspektoren die Einhaltung der neuen Einwanderungsbestimmungen. Immigranten, die "voraussichtlich eine Belastung für die Öffentlichkeit werden würden“, sollten an der Einreise gehindert werden. Einwanderungswillige wurden auf Krankheiten und körperliche Defekte untersucht und ein Fragekatalog sollte Kriminelle und Asoziale herausfiltern. In der Zeit des größten Zulaufs in den Jahren 1900 bis 1924 wurden täglich 5.000 bis 7.000 Einwanderer abgefertigt. Das rigorose Einwanderungsgesetz von 1924 setzte der Massenzuwanderung in die Vereinigten Staaten ein Ende. 1954 wurde Ellis Island aus Kostengründen geschlossen. Seit 1990 befindet sich dort das „Ellis Island Immigration Museum“.

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5. Die Ansiedlung in Amerika

Ziel der ersten deutschen Auswanderer waren vor allem die britischen Kolonien in Nordamerika. Englische Großgrundbesitzer erhofften sich eine rasche Erschließung ihrer Ländereien durch die deutschen Siedler. Diese genossen den Ruf als fleißige, sparsame und geschickte Bauern, die mehr auf ihr Land und ihr Vieh achteten als auf ihren Komfort. Die ersten Siedlungen entstanden entlang des Hudson River in der Kolonie New York.

Das wichtigste Siedlungsgebiet in kolonialer Zeit war Pennsylvania. Ein Großteil der Einwanderer ließ sich in Germantown in der Nähe von Philadelphia nieder. Zahlreiche Einwanderer waren Weber. So bildete sich eine woll- und tuchverarbeitende Industrie mit qualitätvollen Produkten heraus. Deutsche Handwerker und Kaufleute ließen sich auch in anderen Städten wie Lancaster oder York nieder.

Die meisten deutschen Immigranten waren in der Landwirtschaft tätig. Sie siedelten sich westlich von Philadelphia an. Ihr Siedlungsgebiet erstreckte sich über die Counties (Bezirke) York, Cumberland, Northampton, Dauphin, Lehigh, Lebanon und später Centre und Adams. Weitere Siedlungen wurden auch in anderen Kolonien gegründet, vor allem im Schenandoahtal in Maryland und in Virginia. Da sich die Einwanderer oft an der Siedlungsgrenze niederließen, kam es zur Bildung relativ geschlossener deutscher Siedlungsgebiete. Die Siedlungsweise unterschied sich deutlich von der in Deutschland: Man lebte auf seinem Farmland, geschlossene Bauerndörfer waren kaum zu finden.

Tauf- und Todesscheine aus der neuen Heimat
Todesschein von Catherine Egerhof aus New York

Im 19. Jahrhundert folgten die Deutschen der allgemeinen Westwärtsbewegung. Die Masse ließ sich in den Nordatlantikstaaten sowie den westlich angrenzenden Gebieten nieder. Die wirtschaftlichen Zentren des Nordostens mit ihrem großen Bedarf an Arbeitskräften waren ebenso attraktiv wie das riesige fruchtbare Gebiet des mittleren Westens.

Handwerker bildeten das größte Kontingent erwerbstätiger deutscher Einwanderer. Sie genossen einen ausgezeichneten Ruf. Bäcker, Metzger, Brauer, Schreiner, Zigarrenmacher und Schneider galten als typische deutsche Handwerke. Unterrepräsentiert waren Berufe wie Arzt, Rechtsanwalt, Lehrer oder Büroangestellter, weil sie ausgezeichnete englische Sprachkenntnisse und mitunter eine akademische Ausbildung erforderten. Weibliche Berufstätige waren primär als Wäscherinnen, Schneiderinnen, sowie in Haushalten und Gaststätten tätig.

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6. Deutsches Pressewesen in Amerika

Der Anteil der Lesekundigen unter den ersten deutschen Einwanderern war so groß, dass bereits 1832 die erste deutschsprachige Zeitung in Philadelphia erschien. Bis 1800 wurden in Pennsylvania zumindest zeitweise nicht weniger als 38 deutschsprachige Blätter verlegt. Nach 1830 entwickelte sich in allen deutschen Siedlungsgebieten ein reiches Angebot an Zeitungen für deutsche Immigranten. Viele ihrer Herausgeber hatten Deutschland aus politischen Gründen verlassen, wie etwa der aus Alzey stammende Achtundvierziger Emil Preetorius, der Redakteur der weit verbreiteten „Westlichen Post“ war. Die deutschsprachige Presse hatte zwei entgegen gesetzte Wirkungen. Zum einen verzögerte sie das Erlernen der englischen Sprache, da man den Inhalt in der vertrauten Muttersprache lesen konnte. Auf der anderen Seite hatten deutsche Zeitungen in den USA die gleiche Aufmachung wie englischsprachige Blätter und standen meist im Dienst einer politischen Partei.

Kinderbücher
Kleine Erzählungen für Kinder
Gold- und Silber-Nüsse für christliche Kinder
Lesebuch für Kinder, hrsg. von der Amerikanischen Tractat-Gesellschaft

Sie dienten der Instrumentalisierung der Deutschen für einen politischen Zweck und noch wichtiger: sie machten die „Adoptivbürger“ mit Regierungsform, Lebenssitten und Kultur der Amerikaner vertraut. Um 1890 erreichte die Auflagezahl deutscher Zeitungen ihren Höhepunkt, anschließend kam es aufgrund der versiegenden Einwanderung zu einem raschen Rückgang, der durch den Ersten Weltkrieg beschleunigt wurde.

 

Aufgrund der Initiative des aus Edenkoben stammenden New Yorker Verlegers Conrad Voelcker entstanden in den 1880er Jahren eigene Zeitungen für pfälzische und (rhein-)hessische Einwanderer, die bis 1917 ausführlich über das Tagegeschehen in der alten Heimat, z.B. Unglücke, Todesfälle und den Stand der Weinernte informierten. „Der Pfälzer in Amerika“ erschien seit 1884, drei Jahre später wurden die „Hessischen Blätter“ ins Leben gerufen.

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zum zweiten Teil der Ausstellung

Redaktionelle Betreuung: Björn Effgen und Yves V. Grossmann

 
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