Ephrata Cloister: geistiges und kulturelles Zentrum der Deutschen in Pennsylvania

Eines der wichtigsten kulturellen Zentren, nicht nur pfälzisch-deutscher Immigranten in Pennsylvania, sondern des kolonialen Nordamerika überhaupt, war das Kloster Ephrata in Lancaster County, 60 Kilometer westlich von Philadelphia.[Anm. 1] Es handelte sich hierbei um eine 1735 gegründete Gemeinschaft radikaler deutscher Pietisten, die unter der Leitung des Bäckergesellen Johann Conrad Beissel aus Eberbach am Neckar sowie des aus Alsenborn ausgewanderten reformierten Pfarrers Johann Peter Müller den Versuch unternahmen, „der im aufgeklärten Europa bedrängten monastischen Lebensform eine letzte Freistatt zu sichern“.[Anm. 2]

Der Einflusskreis des in der Wildnis von Pennsylvania lebenden charismatischen Ordensgründers Conrad Beissel erstreckte sich bald bis in die alte Heimat. Berichte an seinen in Gimbsheim am Altrhein (nördlich von Worms) wohnhaften Bruder führten dort in den frühen 1740er Jahren zur Bildung einer Erweckungsbewegung, der zeitweise ein beträchtlicher Teil der protestantischen Bevölkerung des Dorfes angehörte. Wachsende Spannungen mit der Obrigkeit und dem Dorfpfarrer sowie die sich in den 1740er Jahren dramatisch verschlechternde wirtschaftliche Situation führten dazu, dass 90 Erweckte - immerhin ein Achtel der Bevölkerung – in den Jahren 1749 und 1751 nach Nordamerika auswanderten. Ihre Überfahrt wurde zumindest teilweise vom „Orden der Einsamen“ in Ephrata finanziert, obwohl sich nicht alle Einwanderer dort niederließen.

Die Mitglieder des „Ordens der Einsamen“ strebten nach einem spartanischen Leben in absoluter Frömmigkeit. Die meisten Mitglieder lebten zölibatär. Gottesdienste wurden mehrmals täglich gefeiert, der Rest des Tages wurde mit Arbeit verbracht. Die Gemeinschaft war weithin autark. Sie verfügte über eine eigene Farm und betrieb Säge-, Getreide-, Öl- und Walkmühlen. Ebenso stellten die Mitglieder ihre eigenen Stoffe und Schuhe her, und es wurden Körbe geflochten. Die Schwestern kopierten Musikhandschriften und widmeten sich der Kalligraphie, Stickarbeiten und dem Spinnen.

Eine besondere zivilisatorische Leistung war die seit 1742 von den Brüdern unterhaltene Druckerei. Das Papier und andere für den Buchdruck benötigte Materialien wurden sämtlich selbst hergestellt. In einer Ölmühle wurde Flachssamen zu Tinte verarbeitet und in einer Gerberei das Leder für die Bucheinbände hergestellt. Die Brüder druckten zum einen religiöse Schriften für den Eigenbedarf. Ihr bedeutendste Werk, das zugleich die größte Druckleistung im kolonialen Nordamerika darstellt, war jedoch der 1748/49 publizierte großformatige „Märtyrer-Spiegel der Tauffs-Gesinnten“, den Johann Peter Müller im Auftrag mennonitischer Gemeinden aus dem Niederländischen ins Deutsche übersetzt hatte.[Anm. 3] Der Theologe Müller, seit 1768 Beissels Nachfolger, zählte zu den gelehrtesten Männern im damaligen Pennsylvania. Er war Mitglied der American Philosophical Society und mit Benjamin Franklin befreundet. 1786 veröffentlichte Miller unter dem Pseudonym Agrippa das „Chronicon Ephratense“, die wichtigste historische Quelle zum Kloster Ephrata, das damals bereits im Niedergang begriffen war.

Auch die Chormusik wurde in Ephrata gepflegt. Die von Conrad Beissel komponierten Chorwerke wurden in den Gottesdiensten ohne instrumentale Begleitung aufgeführt. Die Texte entstammten der Bibel oder eigener Dichtung. Den eigenwilligen Kompositionsstil seiner vier- bis siebenstimmigen Sätze mit langen hohen Tönen ohne eingängige Melodie und Rhythmus erklärte Beissel damit, dass er sie den himmlischen Heerscharen nachempfunden habe. In der Singschule des Klosters wurde eine besondere Singtechnik hierfür eingeübt.

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Verfasser: Helmut Schmahl

Redaktionelle Bearbeitung: Dominik Kasper

Anmerkungen:

  1. Zu Ephrata vgl. Jeff Bach: Voices of the Turtle Doves: The Sacred World of Ephrata. University Park/PA 2003. Die nachstehenden Angaben zu den Gimbsheimer "Erweckten" und ihrer Ansiedlung in Ephrata stammen aus: Helmut Schmahl: Radikalpietisten in der Atlantischen Welt: Die Auswanderung der Gimbsheimer „Erweckten“ nach Ephrata/Pennsylvania in den Jahren 1749 und 1751. In: Mitteilungsblatt zur rheinhessischen Landeskunde, NF 7 (2005), S. 17-36. Zurück
  2. Scherer, Skizze, S. 29. Zurück
  3. Zu Müller vgl. Scherer, Skizze, S. 32. Zurück
 
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