„Alles nur Schein, nur Humbug ...“: Die Reise des Alzeyer Lehrers Franz Joseph Ennemoser (1807-1886) nach New Orleans

Kapitelübersicht

Im Spätherbst 1856 veröffentlichte der Alzeyer Lehrer Dr. Franz Joseph Ennemoser [Anm. 1] eine gut 100 Seiten umfassende Schrift über eine Amerikareise, die er in den Jahren 1854 und 1855 mit seiner Familie unternommen hatte. Zu diesem Zeitpunkt war Rheinhessen ebenso wie zahlreiche andere Gebiete des Deutschen Bundes Schauplatz einer Massenauswanderung, die in den frühen 1830er Jahren eingesetzt hatte und – in regional sehr unterschiedlicher Intensität – bis in die 1880er Jahre andauerte. Insgesamt wanderten rund fünf Millionen deutschsprachige Bewohner Europas zwischen 1820 und 1900 in die Vereinigten Staaten aus.[Anm. 2] Hauptsächlich waren wirtschaftliche Gründe für den Massenexodus ursächlich.[Anm. 3] In Rheinhessen und den sonstigen Realerbteilungsgebieten Südwestdeutschland kam es seit dem späten 18. Jahrhundert zu einem starken Bevölkerungswachstum, das zu einer Besitzzersplitterung und Arbeitsmangel führte. Missernten in den 1840er und 1850er Jahren hatten den Ruin zahlreicher Kleinbauern zur Folge, die sich gezwungen sahen, ihren Besitz zu verkaufen und in Nordamerika – ebenso wie viele Handwerker und Taglöhner - einen neuen Anfang zu wagen.   Aufgrund der anhaltend starken Auswanderung bestand in Deutschland ein großer Informationsbedarf zu den Vereinigten Staaten. Jedes scheinbar noch so nebensächliche Detail über die Verhältnisse in Nordamerika wurde mit Interesse zur Kenntnis genommen. Die aus diesem Interesse resultierende Literatur - Reisebeschreibungen, geographisch-landeskundliche Werken, Zeitungsberichte - war kaum zu überblicken.[Anm. 4] Ein Teil dieser Publikationen wandte sich direkt an Auswanderer, so auch Ennemosers Schrift "Eine Reise vom Mittelrhein (Mainz) über Köln, Paris und Havre nach den nordamerikanischen Freistaaten, beziehungsweise nach New-Orleans. Erinnerungen an diese Stadt und Rückreise über Bremen". Es war die Absicht des Alzeyer Lehrers, wie er seiner Einleitung darlegte, aus „Liebe zur Menschheit […] Allen, denen daran liegt, ein möglichst treues Bild der Leiden und Freuden einer Reise nach Amerika und amerikanischer Verhältnisse vor[zu]führen“ und so verlässliche Informationen zu geben, „als hätte er die Reise persönlich ausgeführt und in Amerika gelebt“.[Anm. 5] Zugleich gab Ennemoser bereits auf den ersten Seiten seines Buches zu erkennen, dass er nicht viel Gutes zu berichten hatte: er wollte potentielle Auswanderer „aufklären, belehren und – warnen“.[Anm. 6]

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zu  I. Herkunft und beruflicher Werdegang Ennemosers

Verfasser: Helmut Schmahl

Redaktionelle Bearbeitung: Yves V. Grossmann

Anmerkungen:

  1. Franz Joseph Ennemoser: Eine Reise vom Mittelrhein (Mainz) über Cöln, Paris und Havre nach den nordamerikanischen Freistaaten, beziehungsweise nach New-Orleans. Erinnerungen und Belehrungen über die politischen, religiösen und gesellschaftlichen etc. Verhältnisse in den nordamerikanischen Freistaaten überhaupt, in New Orleans insbesondere und Rückreise über Bremen. Wien 1871, 16. Auflage, S. 99 (alle nachstehenden Verweise auf Ennemosers Reisebericht beziehen sich auf diese Auflage. Die Vorlagen der Abbildungen in diesem Aufsatz befinden sich, wenn nicht anders angegeben, im Besitz des Verfassers. Zurück
  2. Ausführlich hierzu: Peter Marschalck: Deutsche Überseeauswanderung im 19. Jahrhundert. Stuttgart 1973 (Industrielle Welt, 14), S. 100-105; Stephen Thernstrom (Hg.): Harvard Encyclopedia of American Ethnic Groups. Cambridge 1980, S. 480 (Tabelle 4). Zum Umfang der Auswanderung aus Rheinhessen und sonstigen hessen-darmstädtischen Gebieten vgl. Helmut Schmahl: Verpflanzt, aber nicht entwurzelt. Die Auswanderung aus Hessen-Darmstadt (Provinz Rheinhessen) nach Wisconsin im 19. Jahrhundert. Frankfurt a. M. (u. a.) 2000, S. 64-69. Zurück
  3. Von der umfangreichen Literatur zum Thema seien stellvertretend genannt: Joachim Heinz: „Bleibe im Lande und nähre dich redlich!“ Zur Geschichte der pfälzischen Auswanderung vom Ende des 17. bis zum Ausgang des 19. Jahrhunderts. Kaiserslautern 1989 (Beiträge zur pfälzischen Geschichte, 1); Schmahl, Verpflanzt, aber nicht entwurzelt, S. 91-98. Zurück
  4. Von den Bibliographien deutschsprachiger Monographien über die Vereinigten Staaten seien angeführt: Horst Dippel (Bearb.): Americana Germanica 1770-1800. Bibliographie deutscher Amerikaliteratur. Stuttgart 1976 (Amerikastudien ‑ Eine Schriftenreihe, 42); Christoph Struck / Birgit Zischke (Bearb.) German Americana, 1800-1955. A Comprehensive Bibliography of German, Austrian, and Swiss Books and Dissertations on the United States. Washington/DC 2005 (German Historical Institute Washington, Reference Guide, 18). Zurück
  5. Von den Bibliographien deutschsprachiger Monographien über die Vereinigten Staaten seien angeführt: Horst Dippel (Bearb.): Americana Germanica 1770-1800. Bibliographie deutscher Amerikaliteratur. Stuttgart 1976 (Amerikastudien ‑ Eine Schriftenreihe, 42); Christoph Struck / Birgit Zischke (Bearb.) German Americana, 1800-1955. A Comprehensive Bibliography of German, Austrian, and Swiss Books and Dissertations on the United States. Washington/DC 2005 (German Historical Institute Washington, Reference Guide, 18). Zurück
  6. Ennemoser, Reise, S. 8. Zurück
 
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