IV. „Nicht recht passend für die Volksschule“: Ennemosers letzte Alzeyer Jahre (1856-1867) und seine Übersiedlung ins Ausland

Der Alzeyer Schulvorstand sah Ennemosers Rückkehr mit gemischten Gefühlen entgegen. In einem Bericht an die Kreisschulkommission hob das Gremium hervor, „daß er gerne vernommen hätte, wenn genannter Lehrer die in entferntem Welttheile gesuchte Verbesserung seiner Lebensverhältnisse dorten gefunden hätte, indem dann die hiesige Volksschule für die Folge von einem Manne verschont geblieben wäre, der […] nicht recht passend für die Volksschule ist, und der vermöge seiner academischen Bildung als Lehrer einer höhern Anstalt geeigneter und wirkungsreicher zu verwenden seyn dürfte.“[Anm. 1] Ennemoser sei in der Vergangenheit „mißmuthig und unzufrieden“ gewesen, „weil er sich als zurückgesezt und nicht an seinem Platz ansah“. Es sei zu befürchten, dass sich sein Verdruss in der Zukunft noch steigern werde, „nachdem seine Hoffnungen, deren Realisierung er in America hegte, bey noch hinzugetretenem weitern Familienunglücke“ sich nicht erfüllt hätten. Daher ersuchte der Schulvorstand im November 1855 die Oberstudiendirektion in Darmstadt, Ennemoser an eine höhere Lehranstalt zu versetzen. [Anm. 2]

Nachdem das Gesuch nicht bewilligt worden war, bat der Schulvorstand im März 1856 nochmals nachdrücklich um eine Versetzung. Dieses Mal wurde die Unzufriedenheit der Eltern über Ennemosers „Unfähigkeit und Unverträglichkeit“[Anm. 3] als Grund angeführt: „Das Herannahen des Zeitpunkts des Ablaufs seines Urlaubs und dessen Wiedereintritt in seine vicarirte Stelle hat das betheiligte Publicum sehr in Aufregung gebracht und es verlauten laßen, die schulpflichtigen Kinder seiner Schule resp[ective] seiner Lehre entziehen zu wollen.“ Der Schulvorstand missbillige diese Einstellung der Eltern, es sei jedoch absehbar, „daß da, wo bei Eltern Mißliebigkeit gegen einen Lehrer vorherrschend geworden, Achtungslosigkeit gegen denselben im unmittelbaren Gefolge sein wird, die sich nur zu bald auf die Kinder resp. auf die Schüler adaptirt und dann keinen ersprießlichen Erfolg des Unterrichts mehr erwarten läßt.“ Daraufhin regte die Oberstudiendirektion die Pensionierung des erst 48jährigen Lehrers an, wozu es jedoch nicht kam.[Anm. 4]

Stattdessen bewarb sich Ennemoser in den folgenden Jahren bei verschiedenen höheren Schulen.[Anm. 5] Der Alzeyer Schulvorstand bemühte sich, ihn in seinen Stellungnahmen nach Kräften ‚wegzuloben', jedoch vergeblich. Ennemosers Lebenslauf erschien den Adressaten seiner Bewerbungen mitunter undurchsichtig. So erkundigte sich 1856 der Bürgermeister von Herrstein im Hunsrück, wo Ennemoser sein Interesse an einer Stelle an der höheren Bürgerschule bekundet hatte, bei seinem Alzeyer Amtskollegen über den Lehrer: „Nach seinen Schriften zu urtheilen ist Dr. Ennemoser kein gewöhnlicher Mann seines Faches; es fragt sich jedoch, ob seine Thaten seinen Schriften entsprechen, denn es giebt Viele, die recht gut zu sprechen und zu schreiben, auch zu projectiren, aber wenig auszuführen wissen. Es ist mir also sehr viel daran gelegen, zuverläßige Auskunft über die Tüchtigkeit des Bewerbers sowohl in dienstlicher Beziehung wie hinsichtlich seines Privatlebens zu erhalten.“[Anm. 6] Wie nicht anders zu erwarten, fiel die Alzeyer Auskunft positiv aus: „Dr. Ennemoser hat bei seiner gegenwärtigen Anstellung keinen, seinen Kenntnissen entsprechenden Wirkungskreis. Derselbe hat jedoch mehrere hiesige Knaben für das Gymnasium und die höheren Bildungsschulen privatim vorbereitet und zwar mit gutem Erfolge. Er ertheilt fortwährend Unterricht in der französischen, lateinischen, griechischen und englischen Sprache und darf man mit seinen Leistungen zufrieden sein.“[Anm. 7]

Über die letzten Jahre Ennemosers in der Volkerstadt ist nur wenig bekannt. Lediglich sechs seiner 14 Kinder aus erster Ehe erreichten das Erwachsenenalter. Am 11. Januar 1857 ging der Witwer in Rüdesheim am Rhein eine zweite Ehe mit der von dort stammenden Maria Elisabetha Scholl ein, die zuvor als Haushälterin beim katholischen Pfarrer von Erbes-Büdesheim tätig gewesen war. Mit ihr hatte er fünf weitere Kinder, von denen lediglich zwei das Erwachsenenalter erreichten.

Im März 1867 trat Ennemoser einen zweiwöchigen Urlaub in Familienangelegenheiten an, ohne die Erlaubnis der Kreisschulkommission einzuholen.[Anm. 8] Als er bei Schulbeginn nach Ostern nicht anwesend war, drang der Alzeyer Schulvorstand auf „schleunigst[e] Entfernung“ des Lehrers, in dessen „Schule […] Disciplin und erzoglicher [sic] Unterricht nicht gefunden werden“ könne.[Anm. 9]Bei seiner Rückkehr konnte Ennemoser gegenüber dem Schulinspektor keine plausiblen Gründe vorbringen und geriet mit ihm in Streit. Eine anschließend durchgeführte Visitation hatte zum Ergebnis, dass „die sofortige Pensionirung […] unerläßlich“ sei.[Anm. 10] Ennemoser war von den Auseinandersetzungen derart zermürbt, dass er Anfang August 1867 heimlich Alzey verließ, bevor die Schulbehörde ihn zur Niederlegung seiner Stelle auffordern konnte.[Anm. 11] Der Lehrer, seine Frau und die bei ihnen wohnenden Kinder siedelten in das schweizerische Bern über, behielten jedoch die hessische Staatsbürgerschaft.[Anm. 12] Einige seiner Kinder blieben in Bern wohnen, während ihr Vater einige Jahre später nach Wien verzog, wo er im vierten Stadtbezirk (Wieden) lebte.[Anm. 13] Dort verstarb er am 13. Juli 1886 im Alter von 78 Jahren.[Anm. 14]

Über die Lebensumstände der Kinder Ennemosers ließ sich nur wenig in Erfahrung bringen. Soweit ersichtlich, blieb fast allen von ihnen der von den Eltern gewünschte gesellschaftliche Aufstieg versagt. Die Tochter Maria Sibylla (* 1846) war von Beruf Putzmacherin, bevor sie 1869 in Bern den aus Thüringen stammenden Musiker Friedrich Karl Ludwig Pappe heiratete.[Anm. 15] Die etwa jüngere Sophie Philippine (* 1847) ging 1866 mit einem Heimatschein als Wirtschafterin nach Gießen,[Anm. 16] und von der 1853 geborenen Julie Ennemoser ist lediglich bekannt, dass sie 1923 unverehelicht in Bern starb.[Anm. 17]

Vier Kinder wanderten in die Vereinigten Staaten aus. Über drei von ihnen ist kaum etwas bekannt: die Tochter Emilie Magdalena trat 1853 im Alter von 15 Jahren die Überfahrt an,[Anm. 18] ihre wesentlich jüngeren Halbbrüder Franz Ernst (*1859) und Wilhelm Adolph (* 1862) erhielten 1874 die Entlassung aus der hessischen Staatsbürgerschaft, um in die USA zu übersiedeln.[Anm. 19]

Ennemoser hatte in seinem weit verbreiteten Auswandererführer die Vereinigten Staaten in Bausch und Bogen verdammt. Paradoxerweise machte sein Sohn Julius (1837-1899) gerade in diesem Land noch zu Lebzeiten seines Vaters eine Karriere, die diesen sicher mit Stolz erfüllte. Julius wanderte 1854 zunächst zu Verwandten nach New Orleans aus und übersiedelte einige Jahre später in das im Norden von Louisiana gelegene Landstädtchen Monroe. Dort fasste er – für amerikanische Verhältnisse typisch – in verschiedenen Berufen Fuß und war politisch tätig.[Anm. 20] In den Volkszählungsmanuskripten (Census) von 1860 wird er als Apotheker (druggist) erwähnt, 1865 als Steuereinnehmer, 1870 als Verleger der republikanischen Zeitung Louisiana Intelligencer,[Anm. 21] im Census von 1880 als Hotelier. Mit seiner Frau, der Texanerin Clara Denson, hatte er zahlreiche Kinder. Mit Nachkommen steht der Verfasser in Kontakt.

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zur Rezeption und Bewertung von Ennemosers Reisebericht

Verfasser: Helmut Schmahl

Redaktionelle Bearbeitung: Yves V. Grossmann

Anmerkungen:

  1. Stadtarchiv Alzey XIV-2: Schulvorstand Alzey an Kreisschulkommission, 11.5.1856 (dort auch die folgenden Zitate)Zurück
  2. Stadtarchiv Alzey XIV-2: Schulvorstand Alzey an Kreisschulkommission, 4.11.1855. Zurück
  3. Stadtarchiv Alzey XIV-2: Schulvorstand Alzey an Kreisschulkommission, 1.3.1856. Zurück
  4. Stadtarchiv Alzey XIV-2: Oberstudiendirektion an Kreisschulkommission Alzey, Darmstadt 18.3.1856. Zurück
  5. 1861 bewarb sich Ennemoser auf die Direktorenstelle der Realschule in Michelstadt, 1864 bewarb er sich am Wormser Gymnasium. Vgl. die Schreiben des Schulvorstands Alzey an die Kreisschulkommission Alzey vom 8.5.1861 und 3.5.1864. Zurück
  6. Stadtarchiv Alzey XIV-2: Bürgermeisterei Herrstein an Bürgermeisterei Alzey, 8.7.1856. Zurück
  7. Stadtarchiv Alzey XIV-2: Bürgermeisterei Alzey an Bürgermeisterei Herrstein, 10.7.1856. Zurück
  8. Stadtarchiv Alzey XIV-2: Schulvorstand Alzey an Kreisschulkommission, 19.3.1867. Zurück
  9. Stadtarchiv Alzey XIV-2: Schulvorstand Alzey an Kreisschulkommission Alzey, 19.3.1867. Zurück
  10. Stadtarchiv Alzey XIV-2: Kreisschulkommission Alzey an Schulvorstand Alzey, 7.4.1867. Zurück
  11. Stadtarchiv Alzey XIV-2: Gemeindeschulvorstand an Kreisschulkommission Alzey, 2.8.1867. Zurück
  12. Stadtarchiv Alzey XI-8 (Heimatverhältnisse A-E): Bericht der Bürgermeisterei Alzey an das Kreisamt Alzey v. 3.8.1915 betreffend das Gesuch der ledigen Julie Ennemoser zu Bern um Ausstellung eines Heimatscheins. Die Bürgermeisterei Alzey befürwortete weiterhin am 1.2.1868 gegenüber dem Kreisamt, dass Ennemoser seine Pension im Ausland verzehren dürfe. Zurück
  13. Landesarchiv Speyer H51 Nr. 283: Brief von Ennemoser an das Kreisamt Alzey vom 19.4.1874. Seine Adresse lautete Wieden, Weyringergasse 1c, Wien. Zurück
  14. Diehl, Lehrerbuch, S. 28. Zurück
  15. Stadtarchiv Alzey XI-8. Zurück
  16. Stadtarchiv Alzey XI-8. Zurück
  17. Zivilstandsregister Alzey, Geburten 1853, Randvermerk in der Geburtsurkunde von Julie Ennemoser. Zurück
  18. Stadtarchiv Alzey (unverzeichnet): Register der von den Auswanderungsagenten des Kreises Alzey geschlossenen Überfahrtsverträge 1851-1898. Zurück
  19. Landesarchiv Speyer H51 Nr. 539. Zurück
  20. Vgl. Ennemoser, Reise, S. 122. Zurück
  21. Richard H. Abbott: For Free Press and Equal Rights: Republican Newspapers in the Reconstruction South. Athens/Georgia 2004, S. 73 Zurück
 
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