„Werbebüro Dr. Georg Anton von Schäffer“ und der Beginn der Brasilienauswanderung

Da weite Teile des Landes unbesiedelt waren, beauftragte das Kaiserpaar den damals in Brasilien weilenden deutschen Major Dr. Georg Anton von Schäffer, im Gebiet des Deutschen Bundes Kolonisten und Söldner für die Besiedlung des strategisch wichtigen Südens anzuwerben. Der aus dem unterfränkischen Münnerstadt stammende Mediziner und Offizier von Schäffer hatte bereits 1818 mit 20 Landsleuten die Kolonie Frankenthal in Süd-Bahia gegründet und die nördlich von Rio de Janeiro gelegene, 1820 von Schweizer Auswanderern gegründete Kolonie Novo Friburgo (Neu Freiberg) unterstützt.

Schäffer besuchte die Hansestädte sowie Frankfurt am Main und zahlreiche deutsche Höfe. Seine Schrift „Brasilien als unabhängiges Reich, in historischer, mercantilistischer und politischer Beziehung geschildert“ trug nicht unwesentlich zum Bekanntwerden des südamerikanischen Staates in Deutschland bei. Außer Bauern warb Schäffer auch um Söldner für die brasilianische Fremdenlegion zum Kampf gegen das nach Unabhängigkeit strebende Uruguay.

Schäffer richtete 1823 ein Werbebüro in Hamburg ein. Der Hamburger Senat sah dies als eine willkommene Gelegenheit - wie es im Senatsprotokoll vom 15. Dezember 1823 heißt – „sich auf solche Art einer Menge Vagabunden und müßigen Volkes entledigen zu können“. Tatsächlich wurden in der Folgezeit mehrere Insassen des Hamburger Zuchthauses zur Auswanderung nach Brasilien ermuntert. Sie mussten versprechen, nicht wieder in die Stadt zurückzukehren. Es wäre reizvoll zu untersuchen, was aus ihnen in Brasilien geworden ist.

Der Bundestag und alle deutschen Einzelstaaten leiteten sofort Maßnahmen gegen Schäffer und seine Unteragenten ein und untersagten die Werbung für die Auswanderung. Sie bezogen sich dabei auf Berichte über das ungünstige Schicksal einiger Auswanderer und fürchteten die Abwerbung Wehrpflichtiger und gewerblicher Arbeitskräfte. Die bayerische Regierung wies die in Speyer amtierende Regierung des bayerischen Rheinkreises an, so wurde die seit 1816 zum Königreich Bayern gehörende Pfalz bis 1838 genannt, vor dem für die Auswanderung nach Brasilien werbenden Offizier zu warnen. So schrieb Regierungspräsident Joseph von Stichaner am 23. Juli 1824 an das Landcommissariat Kirchheimbolanden:

„Falls dieses Individuum sich in den Rheinkreis begeben sollte, so wird das k. Landcommissariat beauftragt, denselben während seines Aufenthalts gehörig zu beobachten und nöthigenfalls zu warnen... Sollte diese Warnung fruchtlos seyn, und derselbe die diesseitigen Unterthanen zur Auswanderung auf was immer für eine Weiße zu verleiten suchen, so ist derselbe zu arretieren und der kompetenten Gerichtsbehörde zur Bestrafung zu überweisen...“.

Der Bundesstaat Rio Grande do Sul

Dennoch entschlossen sich viele aufgrund der verlockenden Privilegien, die den Kolonisten gewährt wurden, zur Auswanderung. Schäffer hatte eine für die Auswanderungswerbung günstige Zeit erwischt. In Südwestdeutschland, vor allem im Hunsrück und in der bayerischen Rheinpfalz war im ersten Viertel des 19. Jahrhunderts die Bevölkerung vergleichsweise stark angewachsen. Die durchschnittliche jährliche Wachstumsrate lag in der Pfalz im Zeitraum von 1801 bis 1818 bei 17,8 %, von 1819 bis 1827 bei 16,5 %; in den folgenden sieben Jahren sank sie auf 10,1 %, bis sie schließlich nur noch ganz langsam wuchs, teilweise sogar stagnierte, was sich einzig und allein durch die hohen Auswanderungszahlen erklären lässt. [Anm. 1] Die soziale Lage der Bevölkerung nahm immer mehr besorgniserregende Formen an. Die Pfalz wurde zum Armenhaus Bayerns. Die Bevölkerungsexplosion führte im Rahmen der Realteilung in den zwanziger Jahren bereits zu einer zunehmenden Zersplitterung des Grundbesitzes der bäuerlichen Bevölkerung; etwa 70% der Bevölkerung lebte damals immerhin noch von der Landwirtschaft; auch die Überbesetzung verschiedener Handwerksberufe machte sich bemerkbar. Ähnlich dramatisch waren die Verhältnisse im Hunsrück. Der Obersteiner Amtmann Leyser beschrieb die Wirtschaftslage in dem seit dem Wiener Kongress zum Herzogtum Oldenburg gehörenden Fürstentum Birkenfeld in seinem Brief an die übergeordnete Verwaltung folgendermaßen:

„Wo soll denn der Bauer mit seinen Söhnen hin, wenn das Erbe nicht ausreicht? Sie werden Handwerker. Aber nun sind deren zu viele und sie beengen die sogenannten Bürgerlichen…. So sind überall der Leute zuviel, die sich von etwas anderem als dem Ackerbau ernähren wollen. Das geht nun nicht, und die Unzufriedenheit ist da. Die Preußische Regierung befördert die Auswanderung direkt und indirekt, weil sie sieht, dass einmal nicht anders zu helfen ist, und weil sie damit auch viel des Gesindels los wird. Nur den wackeren Bürger, der gern arbeitet, fortzusehen, ist ein Jammer. Hier in Oberstein würden sehr viele fortziehen, wenn sie nur das Reisegeld aufzubringen wüssten.“ [Anm. 2]

Wenn man sich die Auswanderungsakten in den Archiven der jeweiligen Bezirksämter bzw. Kreisverwaltungen ansieht, so ist man überrascht über die Fülle der Anträge zur Genehmigung der Auswanderung nach Südamerika, die in den 1820er Jahren bei den Behörden eingegangen sind.

So ist beispielsweise den Auswanderungsakten im Archiv des Kreises Kusel zu entnehmen, dass dort im Jahr 1827 allein mindestens 115 Familien mit dem Gedanken spielten, nach Brasilien auszuwandern. In Eßweiler wollte damals fast der halbe Ort (20 Familien mit über 120 Personen) nach Südamerika. Von Herchweiler im Ostertal beabsichtigten neun, von Kusel elf, von Ohmbach acht, von Ulmet sieben und von Bosenbach sechs Familien sich in Brasilien eine neue Existenz aufzubauen. Doch nur ein Teil der Antragsteller realisierte dann die Auswanderungspläne.

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Verfasser: Roland Paul

Redaktionelle Bearbeitung: Dominik Kasper

Anmerkungen:

  1. Heinz, S. 159 Zurück
  2. Mörsdorf, S. 54 Zurück
 
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