Die Reise - Haltung des Staates zu Auswanderungen

Auch im 19. Jahrhundert war die Entscheidung zur Auswanderung ein schwerwiegender Schritt, der gut überlegt und vorbereitet sein musste. Meist parallel zur Beantragung einer Auswanderungserlaubnis veräußerten die Wegziehenden ihren Besitz und schlossen mit einem Agenten einen Vertrag, der ihre Seereise regelte.[Anm. 1]

Die Beförderung von Auswanderern war im 19. Jahrhundert ein lukratives Geschäft. Alle bedeutenden deutschen, französischen, niederländischen, belgischen und englischen Reedereien waren an ihr beteiligt.[Anm. 2] Mainz, Koblenz und seit der Jahrhundertmitte auch Ludwigshafen waren aufgrund ihrer günstigen Verkehrslage Sitz zahlreicher in- und ausländischer Schiffsagenturen. Den bedeutendsten Anteil an der Auswanderungsbeförderung hatte zeitweise die 1845 in Mainz gegründete Agentur des Engländers Washington Finlay, der Vertreter der amerikanischen Paketschiffe von Le Havre nach New York und New Orleans war. Wegen der großen Nachfrage zählte sein Unternehmen schon bald 66 Unteragenturen in Süddeutschland und im Rheinland. Meist waren die Unteragenten Handelsleute oder Wirte, die wie ihre Auftraggeber intensiv Werbung in Zeitungen und Anzeigeblättern betrieben. Da es immer wieder zu Übervorteilungen und betrügerischer Werbung kam, wurden den Auswanderungsagenturen von staatlicher Seite strenge Auflagen für ihren Geschäftsbetrieb erteilt. Dem Schutz dieser Emigranten dienten diese Verordnungen nur bedingt, denn sie konnten Prellereien im Ausland nicht Einhalt gebieten.

Die Einstellung der einzelnen deutschen Staaten gegenüber der Auswanderung war unterschiedlich. Zwar war in allen Staaten des Deutschen Bundes das Recht auf Wegzug verbürgt, falls keine Verpflichtungen bzw. Verbindlichkeiten gegenüber dem Staat bzw. Privatpersonen bestanden. In den preußischen und bayerischen Gebieten von Rheinland-Pfalz befürchteten die Behören seit den 1840er Jahren angesichts des Weggangs zahlreicher Arbeitskräfte und Militärpflichtiger eine Entvölkerung ganzer Landstriche, und sie warnten eindringlich vor den Risiken, die mit der Auswanderung verbunden waren.[Anm. 3] Eine liberalere Haltung nahm hingegen die hessen-darmstädtische Regierung ein, die in der Auswanderung ein soziales „Überdruckventil“ sah. So bezeichnete Innenminister du Thil in den 1840er Jahren die rasch wachsende Bevölkerung als „das größte Übel, an welchem ein Staat leiden kann.“ Seiner Einschätzung nach „würde das Großherzogtum glücklicher sein, wenn es gegen 100.000 Einwohner weniger hätte“.[Anm. 4]

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Verfasser: Helmut Schmahl

Redaktionelle Bearbeitung: Dominik Kasper

Anmerkungen:

  1. Zum Agenturwesen und der Reise siehe den Beitrag von Barbara Schuttpelz in diesem Band. Zurück
  2. Alle Angaben in diesem Abschnitt finden sich, wenn nicht anders angegeben, bei Schmahl, Verpflanzt, S. 133-135. Zurück
  3. Vgl. Heinz, Bleibe im Lande, S. 224-228; Cornelius Neutsch: Der Westerwald: eine idealtypische Auswanderungsregion des 19. Jahrhundert? In: Walter G. Rödel/Helmut Schmahl (Hrsg.): Menschen zwischen zwei Welten: Auswanderung, Ansiedlung, Akkulturation, Trier 2002, S. 68-70. Zurück
  4. Heinrich Ulmann (Hrsg.): Denkwürdigkeiten aus dem Dienstleben des Hessen-Darmstädtischen Staatsministers Freiherrn du Thil 1803-1848. Stuttgart 1921 (ND Osnabrück 1957), S. 522. Zurück
 
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