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Die Auswanderung aus Ludwigshafen

Im Gegensatz zu vielen anderen pfälzischen Städten und Gemeinden ist Ludwigshafen eine sehr junge Stadt. Erst 1853 wurde es zu einer selbstständigen Gemeinde. In der Folgezeit jedoch vollzog sich ein rasanter Aufschwung, der vor allem der sich dort ansiedelnden Industrie zu verdanken war. Hatte die Gemeinde 1855 noch wenig über 2000 Einwohner, waren es in der Stadt um 1900 bereits über 60000.[Anm. 1]

In Folge der Industrialisierung stand vor allem die Zuwanderung aus umliegenden Gemeinden im Mittelpunkt. Statistiken von 1880 und 1907 zeigen, dass fast 60 Prozent der Zuwanderer aus dem bayerischen Rheinkreis stammten.[Anm. 2] Teilweise handelte es sich dabei jedoch um „Saisonarbeiter“, die sich im Winter in Fabriken verdingten, im Sommer allerdings in ihre ländliche Herkunftsgebiete zurückkehrten und einer landwirtschaftlichen Beschäftigung nachgingen. Der Stadtverwaltung blieb dies um die Jahrhundertwende nicht verborgen: „Eine Eigentümlichkeit der Stadt ist die überaus große Fluktuation der Bevölkerung, die sehr oft, nicht selten in abfälliger Weise, besprochen wird. Sie findet vornehmlich ihren Grund in der Verschiedenartigkeit der Nationalität, in der Mannigfaltigkeit der Etablissements und der damit in Zusammenhang stehenden Arbeitsgelegenheit, die zum großen Teile Sach- und Fachkenntnisse nichtvoraussetzt, in der Vielseitigkeit der Eisenbahnverbindungen, der günstig gelegenen Wasserstraße , nicht minder aber auch in der unmittelbaren Nähe der Großstadt Mannheim. […]“[Anm. 3] Die Auswanderung scheint seit der Gründung der Stadt keine größere Rolle gespielt zu haben – mit Ausnahme der Zeit des Nationalsozialismus, als die jüdische Bevölkerung aus dem öffentlichen Leben gedrängt, zur Auswanderung gezwungen und ermordet wurde.

Vor der Stadtgründung allerdings erging es den damals ländlichen, heute zur Stadt gehörenden Gemeinden kaum anders als vielen pfälzischen Orten. So grassierte 1764 eine „allgemeine Seuche“ in der Pfalz, die Auswanderung nach Cayenne, die von französischen Werbern massiv gefördert wurde. Aus Mundenheim emigrierten damals innerhalb weniger Tage 86 Menschen.[Anm. 4] Allgemein kann gesagt werden, dass die Bevölkerungszahl im Raum Ludwigshafen in der Frühen Neuzeit aufgrund von Missernten und wirtschaftlicher Not stark schwankte. Folge dieser Nöte waren hohe Zu- und Abwanderungsraten.[Anm. 5]

Im 19. Jahrhundert wiederum wuchs die Bevölkerung dann stark an. Bis in die 1850er Jahre gingen vom gewerblichen Sektor allerdings nur wenige Impulse aus. Dies führte zu neuen Problemen. Durch die Realerbteilung, bei der die Erbmasse gleichmäßig auf alle Nachkommen aufgeteilt wurde, kam es zu einer Zersplitterung und Verkleinerung des landwirtschaftlichen Besitzes. Ein Großteil der landwirtschaftlichen Betriebe war kleiner als zwei Hektar, was kaum als Existenzgrundlage einer Familie ausreichte. Ein Ausweichen auf handwerkliche Berufe führte zu einem Überangebot auf diesem Sektor. Diese strukturelle Armut, der Pauperismus, wurde zudem zeitweise durch Missernten verschärft. Zu den Gemeinden auf dem späteren Stadtgebiet kann allerdings gesagt werden, dass ihre Lage wegen Begradigungsarbeiten am Rhein nicht so schlecht wie in vielen anderen Teilen der Pfalz war.[Anm. 6] Trotzdem nahm Ende der 1830er Jahre die Auswanderung nach Nordamerika stark zu, was zumindest für Oppau und Edigheim belegt ist.[Anm. 7] Zudem ging zwischen 1849 und 1852 die Bevölkerung in der Gegend der heutigen Stadt Ludwigshafen stark zurück, eine Folge einer massiven Auswanderungsbewegung, die vornehmlich Nordamerika zum Ziel hatte. Als Beispiel kann die Gemeinde Friesenheim dienen, die 1849 2064 Einwohner hatte, drei Jahre später nur noch 1662.[Anm. 8] Heute befindet sich in Ludwigshafen der Sitz des Vereins für pfälzisch-rheinische Familienkunde, dessen Mitglieder bei ihren Forschungen immer wieder auf entfernte Verwandte – Nachfahren der pfälzischen Nordamerikaauswanderer – stoßen.

Wie eingangs bereits geschildert wurde, spielte die Auswanderung seit der Gründung der Stadt Ludwigshafen keine größere Rolle mehr. Im dunkelsten Kapitel deutscher Geschichte kam es dennoch abermals zu einer größeren, von Druck und Zwang begleiteten Auswanderungsbewegung: Derjenigen der jüdischen Bevölkerung der Stadt.

Die neuen Machthaber begannen mit der Verdrängung jüdischer Beamter, ebenso wie die Einschränkung der Berufswahl und Ausübung, beispielsweise bei Ärzten, Rechtsanwälten und Steuerberatern.  Doch nicht nur aus dem Berufsleben sollten die Juden verdrängt werden, sondern ihnen sollten auch sämtliche Möglichkeiten der Freizeitgestaltung sowie Lebensräume im Alltag genommen werden. Spätestens 1938 wurde vielen Juden klar, dass es im nationalsozialistischen Deutschland keine Zukunft für sie gab. Schon seit 1933 waren viele Juden ausgewandert. Nach der Verdrängung aus den Schulen hatten sich eigene jüdische Lehranstalten gebildet, die sich nun teilweise auch die Vorbereitung der Auswanderung, zum Beispiel nach Palästina, zur Aufgabe machten. Die jüdische Bevölkerung Ludwigshafens nahm zwischen 1933 und 1940 stark ab. Waren es bis zur Reichspogromnacht vor allem jüngere Juden, versuchten nun auch alteingesessene Familien, ihr Hab und Gut zu veräußern und zu emigrieren.[Anm. 9] Insgesamt schrumpfte die jüdische Gemeinde bis zum 9. November 1938 durch Deportation und Emigration von 1400 auf 700. Diese Zahl ging weiter zurück. Als am 22. Oktober 1940 die vorderpfälzischen Juden nach Gurs deportiert wurden, befanden sich unter ihnen 183 Ludwigshafener.[Anm. 10]

 

Nachweise

Verfasser: Christoph Schmieder

Verwendete Literatur:

  • Becker, Klaus Jürgen, März, Stefan: Geschichte der Stadt Ludwigshafen am Rhein. Band 1. Von den Anfängen bis zum Ende des Ersten Weltkrieges. Ludwigshafen am Rhein 2003.
  • Becker, Klaus Jürgen, Mörz, Stefan: Geschichte der Stadt Ludwigshafen am Rhein. Band 2. Vom Ende des Ersten Weltkrieges bis zur Gegenwart. Ludwigshafen am Rhein 2003.
  • Heinz, Joachim: "Bleibe im Lande und nähre dich redlich !" Zur Geschichte der pfälzischen Auswanderung vom Ende des 17. bis zum Ausgang des 19. Jahrhunderts. Kaiserslautern 1989 (Beiträge zur pfälzischen Geschichte, 1).
  • Minor, Ulrike, Ruf, Peter: Juden in Ludwigshafen. Ludwigshafen am Rhein 1992 (Veröffentlichungen des Stadtarchivs Ludwigshafen am Rhein; 15).

 

Erstellt: 05.03.2013

Anmerkungen:

  1. Vgl. Geschichte der Stadt, Bd. 2, S. 977 Zurück
  2. Vgl. Geschichte der Stadt, Bd. 2, S. 456; S. 747 Zurück
  3. Vgl. Geschichte der Stadt, Bd. 1, S. 455. Zurück
  4. Vgl. Heinz, S. 113. Zurück
  5. Vgl. Geschichte der Stadt, Bd. 1, S. 140. Zurück
  6. Vgl. Geschichte der Stadt, Bd. 1, S. 231-236. Zurück
  7. Geschichte der Stadt, Bd. 1, S. 238. Zurück
  8. Vgl. Geschichte der Stadt, Bd. 1, S. 782f. Zurück
  9. Vgl. Minor/Ruf, S. 96-156 Zurück
  10. Vgl. Geschichte der Stadt, Bd. 2, S. 224-226; S. 378 Zurück
 
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