GEO:49.983333,7.516667

Die Auswanderung aus Simmern

Simmern, Herzogsstadt im Zentrum des heutigen Rheinland Pfalz, liegt in der Mittelgebirgslandschaft des Hunsrücks – in der sogenannten Simmerner Mulde. Im Vergleich zur Auswanderung aus anderen Gebieten des heutigen Rheinland-Pfalz stechen vor allem die – für den Hunsrück typischen – zahlreichen Auswanderer nach Brasilien hervor.

Simmern, das 1330 das Stadtrecht verliehen bekommen hatte, kam 1359 in den Besitz der Pfalzgrafen aus dem Hause Wittelsbach. Im Rahmen der pfälzischen Erbteilung von 1410 wurde unter Stephan, einem Sohn König Rupprechts von der Pfalz, die Nebenlinie Simmern-Zweibrücken begründet. Simmern wurde Herzogsstadt.[Anm. 1]

Mit dem Tod des Herzogs Reichard 1598 erlosch die ältere Fürstenlinie und Simmern wurde kurzzeitig in den pfälzischen Herrschaftsverband integriert, bevor Kurfürst Friedrich IV. seinem Sohn Ludwig Philipp die Simmerner Lande als selbstständiges Fürstentum überließ. Im dreißigjährigen Krieg wurde Simmern mehrmals besetzt und geplündert, bevor Ludwig Philipp die Stadt, mit 550 verbliebenen Einwohner, 1648 zurückerhielt.[Anm. 2]

Als die Simmerner Linie, die inzwischen den Kurfürsten stellte und in Heidelberg residierte, 1685 ausstarb, wurde Simmern im pfälzischen Erbfolgekrieg erneut verwüstet. Bis 1794 gehörte es als Oberamt zur Kurpfalz.[Anm. 3] In diesem Zeitraum wanderten wohl auch die ersten Simmerner – wenn auch in sehr geringer Zahl – nach Übersee, Russland sowie Ost- und Südosteuropa aus. Von einer „Auswanderungstradition“ Simmerns kann allerdings nicht gesprochen werden.[Anm. 4]

Nach der Besetzung Simmerns durch die Franzosen in der napoleonischen Zeit wurde Simmern ein Teil Preußens. Die Bevölkerung hatte sich innerhalb eines Jahrhunderts mehr als verdoppelt (1744: 866 Einwohner; 1810: 1907 Einwohner).[Anm. 5] Ab den 1820er Jahren wanderten allerdings auch zahlreiche Simmerner Bürger nach Übersee aus. So ging die Bevölkerung der Stadt zwischen 1840 und 1871 um 12,9 Prozent zurück.[Anm. 6]

Die Auswanderung aus politischen Gründen, die vor allem nach 1848 einsetzte, hat in Simmern wohl kaum stattgefunden; vielmehr überwogen wirtschaftliche Motive. Der gesamte Hunsrück war industriell stark unterentwickelt. Zudem führte das Realerbteilungsrecht, bei dem das Land gleichmäßig auf alle Erben verteilt wurde, zu einer starken Zersplitterung und Verringerung des jeweiligen Landbesitzes. Der Versuch der Betroffenen, durch das zusätzliche Erlernen eines handwerklichen Berufes ihr Einkommen aufzubessern, führte zu einer Überfüllung ebendieser handwerklichen Berufe. Dieser Krise – dem vorindustriellen Pauperismus – versuchten viele Simmerner durch Auswanderung zu entgehen. Einen Höhepunkt erlebte die Emigration aus der Bürgermeisterei Simmern in den Jahren 1845 und 1846, als Missernten die prekäre Situation verschärft hatten. Ziel der Auswanderer war in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts vor allem Brasilien, wo 51 Simmerner ihr Glück suchten.[Anm. 7] In der Kolonie Petrópolis, die von Kaiser Dom Pedro II. 1843 als Sommerresidenz gegründet wurde, erinnerte der Quartiername „Simeria“ an die zahlreichen Einwanderer. Die USA dagegen wurden erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bevorzugtes Ziel. 71 Personen wanderten dorthin aus.[Anm. 8] Zu erwähnen sind auch drei Auswanderer mit dem Ziel England, die zwischen 1871 und 1883 emigrierten.[Anm. 9]

Nachdem 1660 eine erste Person jüdischen Glaubens, nämlich der Metzger des Herzogs Ludwig Heinrich, erwähnt wird, wuchs auch die Zahl der jüdischen Einwohner Simmerns. 1838 lebten 167 Juden in Simmern. Es dominierte der Mittelstand, einige Familien lebten allerdings am Existenzminimum. Die Auswanderer jüdischen Glaubens zog es im 19. Jahrhundert vor allem in die USA oder in umliegende größere Städte. Nachdem 1911 noch der Grundstein der neuen jüdischen Synagoge gelegt worden war, fiel die jüdische Gemeinde Simmerns dem Wüten der Nationalsozialisten zum Opfer. Am 30. April 1942 wurden die letzten Juden aus Simmern deportiert. Insgesamt wurden 32 Simmerner Juden Opfer der NS-Diktatur. Nur ein Einziger überlebte, wanderte mit seiner Familie allerdings 1951 in die USA aus.[Anm. 10]

Bearbeitung: Christoph Schmieder

 

Verwendete Literatur:

  • Beres, Eric: Auswanderung aus dem Hunsrück 1815-1871. Strukturen, Ursachen und Folgen am Beispiel der ehemaligen Bürgermeisterei Kastellaun. Kastellaun 2001 (Kastellaun in der Geschichte; 7).
  • Diener, Walter: Die Auswanderung aus dem Kreise Simmern (Hunsrück) im 19. Jahrhundert. In: Rheinische Vierteljahrsblätter 8 (1938). S. 91-148.
  • Ders.: Auswanderung und Auswanderer aus dem Kreis Simmern im 19. Jahrhundert. In: Hunsrücker Heimatblätter 15, 34 (1975). S. 126-136.
  • Effgen, Björn: „Ein Paradies, wo Milch und Honig fließt“. Auswanderung nach Brasilien aus dem Kreis Simmern 1823-1871. Unveröffentlichte Staatsexamensarbeit. Mainz 2010.
  • Faller, Karl: Simmern. Einst Herzogsresidenz. Heute Kreisstadt. Simmern 1972.
  • Schiffmann, Dieter: Bevölkerungsgeschichte. In: Kreuz, Rad, Löwe. Rheinland Pfalz. Ein Land und seine Geschichte. Vom ausgehenden 18. Jahrhundert bis zum 21. Jahrhundert. Hrsg. von Friedrich P. Kahlenberg und Michael Kißener. Mainz 2012. S. 329-388.
  • Smith, Clifford Neal: Nineteenth-century emigration from Kreis Simmern (Hunsrueck), Rheinland-Pfalz, Germany, to Brazil, England, Russian Poland, and the United States of America. McNeal 1980 (German-American genealogical research monograph; 8).
  • Wagner, Willi (Hrsg.): 650 Jahre Stadt Simmern im Hunsrück. Simmern 1980.
  • Wesner, Doris: Simmern. In: Jüdisches Leben im Rhein-Hunsrück-Kreis. Hrsg. Von Christof Pies. Simmern 2003 (Schriftenreihe des Hunsrücker Geschichtsvereins; 40). S.211-224.

Erstellt: 01.08.2012

Anmerkungen:

  1. Wagner, S. 42-54. Zurück
  2. Vgl. Faller, S. 26; S. 112; Wagner, S. 64. Zurück
  3. Vgl. Wagner, S. 75. Zurück
  4. Vgl. Beres, S. 22-26; Diener 1938, S. 106. Zurück
  5. Vgl. Faller, S. 112. Zurück
  6. Vgl. Schiffmann, S. 334; Effgen, S. 18. Zurück
  7. Vgl. Smith, S. 2. Zurück
  8. Vgl. Smith, S. 2f. Zurück
  9. Vgl. Diener 1938, S. 123-125; Diener 1975, S. 127; Effgen, S. 20-32. Zurück
  10. Vgl. Wesner, S. 211-214. Zurück
 
Hinweis: Diese Webseite wird vom IGL auch Jahre nach Abschluss des Projekts weiterhin zur Verfügung gestellt. Die unten angezeigten Inhalte sind aber veraltet und spiegeln möglicherweise nicht den aktuellen Forschungsstand wider. (Klicken Sie auf diese Meldung, um sie auszublenden.)